Ist Gott ein Mathematiker
begann Graunt interessante Beobachtungen zu machen, die er schließlich in einem kleinen, fünfundachtzig Seiten starken Büchlein veröffentlichte, von dem 1702 auch eine deutsche Übersetzungunter dem Titel
Natürliche und politische Anmerkungen über die Todten-Zettul der Stadt London
erschien. Abbildung 31 zeigt ein Beispiel für eine Tafel aus Graunts Buch, in der nicht weniger als dreiundsechzig Krankheiten und Todesursachen in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet sind. In Verneigung vor dem Präsidenten der gelehrten Gesellschaft «Gresham’s College», Sir Robert Moray, weist Graunt zu Beginn des Buches darauf hin, dass seine Abhandlung, da die Arbeit darin «die Lufft, die Landschaften, Zeiten, Fruchtbarkeit, Gesundheit, Kranckheiten, Lebhaftigkeit und die Proportion der Geschlechte und Alter der Menschen» betrifft, eigentlich ein naturgeschichtliches Werk sei.
Tatsächlich leistete Graunt weit mehr, als nur Daten zu sammeln und vorzulegen. Indem er beispielsweise die Durchschnittszahlen an Taufen und Beerdigungen für Männer und Frauen in London und der Pfarrei Romsey in Hampshire verglich, lieferte er zum ersten Mal Belege für ein stabiles Geschlechterverhältnis zum Zeitpunkt der Geburt. So zeigte er, dass in London dreizehn Mädchen auf vierzehn Jungen zur Welt kamen, in Romsey waren es fünfzehn Mädchen auf sechzehn Jungen. Bemerkenswert ist auch seine Weitsicht, mit der er dem Wunsch Ausdruck verlieh, dass «die Reisenden nachforschen möchten, ob es sich in andern Landschafften auch so verhalte». Er stellte auch fest, es sei ein Segen für die Menschheit, dass durch den Überschuss an
Männern
der
Polygamie
ein natürlicher Riegel vorgeschoben werde; denn in einem solchen Zustand «kann ein Weib mit ihrem Ehemanne keineswegs in so gleichem Stande und gleichen Ausgaben leben, als itzo bei uns geschieht». Heutzutage wird das Geschlechterverhältnis zwischen Jungen und Mädchen bei der Geburt mit 1,05 angegeben. Die herkömmliche Erklärung für diesen Männerüberschuss lautet, dass Mutter Natur aufgrund der etwas höheren Empfindlichkeit männlicher Feten und Babys zugunsten des männlichen Geschlechts vorbaut. Aus Gründen, die noch einer Erklärung harren, ist – nebenbei bemerkt – in den Vereinigten Staaten und Japan der Anteil an Jungen seit den 1970er Jahren leicht gesunken.
Ein weiteres bahnbrechendes Unterfangen Graunts war sein Versuch, aus den nach der Todesursache aufgeschlüsselten Zahlen der Verstorbenen eine Altersverteilung – eine «Lebenstafel» – fürdie lebende Bevölkerung zu errechnen. Ein solches Unternehmen war ohne Zweifel von großer politischer Bedeutung, erhielt man daraus doch zum Beispiel Aufschluss über die Zahl der wehrfähigen Männer – Männer zwischen sechzehn und fünfundsechzig – in der Bevölkerung. Streng genommen hatte Graunt nicht genügend Informationen, um eine solche Altersverteilung herzuleiten. Genau in dieser Hinsicht aber bewies er Fantasie und kreatives Denken. Im Folgenden beschreibt er, wie er zu seinen Schätzungen zur Kindersterblichkeit gelangt:
So soll meine Anmerckung über die Todesfälle seyn, daß in zwanzig Jahren an allen Kranckheiten und Zufällen sterben 229.250: Daß an Mandel-Geschwüren, Krampffsucht, Rückensucht, Zähnen und Würmen; und als unzeitig Gebohrne, ungetauffte Kinder, lebersüchtige und erstöckte 71.124 sterben: Daß ist, es sterben von der ganzen Summa ohngefehr ⅓ an diesen Kranckheiten, welche wir vermuthlich alle bey Kindern, unter 4 oder 5 Jahren alt, antreffen werden. Ingleichen sterben an Kindes-Blattern, Schweins-Blattern, Masern, Rötheln und an Würmen ohne die Fraaß 12.210; von welcher Zahl ich gleichfalls setze, daß die Helffte möchten Kinder unter sechs Jahren seyn. Wenn wir nun bedencken, daß der sechzehende Theil von besagten 229.250 an der extraordinairen und grossen Kranckheit der Pest sterben, so findet sich, daß ohngefehr sechs und dreyßig unter hunderten von allen lebendig-gebohrnen sterben, ehe sie sechs Jahr alt worden sind.
Mit anderen Worten: Graunt errechnete die Sterblichkeit für Kinder unter sechs Jahren zu (71.124 + 6105): (229.250 – 160.000) = 0,36 = 36 Prozent. Mit ähnlichen Argumenten und logischen Ausgangsüberlegungen vermochte Graunt auch eine Schätzung zur Alterssterblichkeit abzugeben. Schließlich füllte er die Lücke zwischen sechs und sechsundsiebzig durch eine mathematisch begründete Annahme zum Verhalten der Sterblichkeitsrate mit dem Alter.
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