Ist Gott ein Mathematiker
intuitionistische Ideen und Überlegungen einen Teil der Erkenntnisse vorwegnahmen, die Kognitionswissenschaftler unserer Tage zu der Frage gewonnen haben, wie Menschen sich Mathematik aneignen (ein Thema, das in Kapitel 9 erörtert werden soll), und die Diskussionen moderner Mathematikphilosophen wie Michael Dummet befeuert haben. Dummetts Ansatz ist in erster Linie ein linguistischer, er verkündet – auch im Hinblick auf mathematische Aussagen – kategorisch:
Den Sinn einer Aussage erklären wir nicht … dadurch, daß wir ihren Wahrheitswert durch Angabe der Wahrheitswerte ihrer Bestandteile festlegen, sondern dadurch, daß wir bestimmen, wann sie behauptet werden kann, indem wir die Bedingungen angeben, unter denen ihre Bestandteile behauptet werden können.
Mit anderen Worten: Die Bedeutung einer Aussage erschließt sich aus ihrem Zusammenhang. Wie aber hat sich eine so enge Beziehung zwischen Mathematik und Logik entwickelt? Und ist das logistische Programm überhaupt tragfähig? Lassen Sie mich kurz ein paar Meilensteine der letzten vier Jahrhunderte benennen.
Logik und Mathematik
Herkömmlicherweise befasst sich die Logik mit Beziehungen zwischen Begriffen und Aussagen (oder Propositionen) und den Verfahren, die aus jenen Beziehungen gültige Schlussfolgerungen herausdestillieren. Als einfaches Beispiel werden gerne Schlüsse nach dem Muster – «Jeder
X
ist ein Y; manche
Z
sind X, deshalb sind manche
Z Y» –
konstruiert, in denen, so die Prämissen wahr sind, die Wahrheit der Schlussfolgerung automatisch garantiert ist. Zum Beispiel führt «Jeder Biograph ist ein Autor, manche Politiker sind Biographen, deshalb sind manche Politiker Autoren» zu einem richtigen Schluss. Schlussfolgerungen, die allgemein dergestalt daherkommen, dass «jeder
X
ein
Y,
manche
Z
auch
Y
und somit manche
Z X
sind», sind unzulässig, denn man kann Beispiele finden, in denen trotz richtiger Prämissen die Schlussfolgerung falsch ausfällt. Zum Beispiel: «Jeder Mensch ist ein Säugetier, manche gehörnten Tiere sind Säugetiere, daher sind manche gehörnten Tiere Menschen.»
Solange gewisse Regeln befolgt werden, hängt die Gültigkeit eines Schlusses nicht vom Inhalt der Einzelaussagen ab. Zum Beispiel:
Der Millionär wurde entweder vom Butler oder von seiner
Tochter umgebracht.
Seine Tochter war es nicht,
Deshalb muss es der Butler gewesen sein.
führt zu einem wahren Schluss. Die Verlässlichkeit dieser Feststellung hängt in keiner Weise von unserer Meinung über den Butler oder von der Beziehung zwischen dem Millionär und seiner Tochter ab. Die Gültigkeit ist gesichert durch die Tatsache, dass Aussagenfolgen der allgemeinen Form «wenn entweder
p
oder
q
und wenn nicht
q,
dann
p»
logisch wahr sind.
Ihnen ist vielleicht nicht verborgen geblieben, dass in den beiden ersten Beispielen
X, Y
und
Z
Rollen innehaben, die sehr an die der Variablen in einer mathematischen Gleichung gemahnen – sie markieren Positionen, an deren Stelle Ausdrücke eingefügt werden können, so wie in der Algebra numerische Werte für Variablen eingesetztwerden. Ganz ähnlich erinnert der wahre Schluss in «wenn entweder
p
oder
q
und wenn nicht q, dann p» an die Axiome der euklidischen Geometrie. Dennoch musste fast zwei Jahrtausende über Logik nachgedacht werden, bis Mathematiker sich diese Analogie zu Herzen nahmen.
Der Erste, der versucht hat, die beiden Disziplinen Mathematik und Logik zu einer «universalen Mathematik» zusammenzuführen, war der deutsche Mathematiker und Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716). Leibniz, der eigentlich studierter Rechtswissenschaftler war, leistete den Großteil seiner Arbeiten auf den Gebieten der Mathematik, Physik und Philosophie in seiner freien Zeit. Zu seinen Lebzeiten war er vor allem dafür bekannt, dass er unabhängig von (und fast zeitgleich mit) Newton die Grundlagen der Infinitesimalrechnung gelegt hat (und für den anschließenden erbitterten Disput zwischen beiden darüber, wer denn nun Anspruch darauf hat, der Erste genannt zu werden). In einem Aufsatz, den er fast zur Gänze im Alter von sechzehn Jahren verfasst hat, träumte Leibniz von einer allgemeinen Wissenschaftssprache oder
Characteristica universalis,
die er als das ultimative Denkinstrument erachtete. Sein Ziel war es, einfache Vorstellungen und Begriffe durch gewisse Symbole und komplexere Beziehungen durch Kombinationen dieser Grundsymbole darzustellen. Leibniz hoffte, auf diese Weise dahin zu gelangen, die
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