Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
streiten, und alles ist so normal.
Am Tag zuvor war ein Klient bei mir, der als größten Wunsch formulierte, alles solle bleiben, wie es ist. Als ich ihn fragte, wofür er das brauche, sagte er, er habe Angst vor Veränderung. Er ist vierzig Jahre alt, seine Kinder sind acht und vierzehn, er ist beruflich erfolgreich, und er hat eine sehr attraktive, emotionale und erotische Partnerin, die seit mindestens zehn Jahren mehr von ihm will als er von ihr.
Alles soll bleiben, wie es ist. Er hat Angst vorm Altern, vor Kraftverlust, Angst davor, dass die Kinder sich entfernen und er nicht mehr wichtig für sie ist, Angst vor dem Unbekannten. Zu Hause ist ihm vor allem wichtig, dass er sich ausruhen kann, genug Schlaf bekommt, seine Frau ihn nicht »nervt« mit emotionalen Ausbrüchen, nicht zu viel von ihm will, er genügend Ruhe hat.
Vielleicht denkst du jetzt: Was für ein langweiliges Leben! Oder du denkst: Wieso hat sie vorher von diesem Film erzählt, in dem es um die Normalität in einer Partnerschaft geht, und jetzt schreibt sie von der Gefahr, in der Normalität zu versacken?
Dieser Klient, nennen wir ihn Hans, hat einige Hobbys: Er spielt Schlagzeug, und er lernt Gleitschirmfliegen. Gegen beides ist selbstverständlich nichts einzuwenden, aber seine Frau ist immer wieder kurz vor dem Absprung aus der Beziehung, weil er bei ihr vor allem müde ist. Er hat sein
Leben fein säuberlich in Schächtelchen eingeteilt. Im Beruf: Konzentration, Präsenz, Führung. Zu Hause: Ruhe, Auftanken. Im Hobby: Abenteuer, Neues erleben. Zu Hause soll es möglichst stabil sein. Harmonisch nennt er das. Das Abenteuer lebt er anderswo. Seine Frau fühlt sich ständig von ihm in ihrer Intensität gebremst, in ihrer Sehnsucht nach mehr Lebendigkeit und Kontakt, danach, Neues in der Sexualität, im Miteinander zu wagen. Sie fühlt sich, als würde er ihre Flügel beschneiden. Ich soll anders sein, sagt sie, ruhiger, weniger bewegt, weniger emotional.
Dieses Beziehungsmodell wird leider von vielen gelebt. Vom Beamten mit geregeltem Pensionsanspruch, der alles andere versichert hat, aber bei Prostituierten Sex ohne Kondom verlangt. Dem zuverlässigen Partner mit langweiligem Sexleben in der Ehe, der in geheimer Internetadresse mit Sexpartnerinnen Kontakt pflegt. Der Frau, die zu Hause immer müde ist, aber übers Internet Blinddates für wilde One-Night-Stands organisiert. Dem Buchhalter, der Bungeejumping macht. Und so weiter.
Mein Partner und ich sprachen kürzlich darüber, dass Menschen Herausforderungen bräuchten, um sich weiterzuentwickeln, um zu wachsen. Ich fragte ihn, warum bloß so viele Männer massiven Widerstand gegen die Herausforderung leisten, die ihre Partnerinnen für sie darstellen, und er sagte: Man will sich seine Herausforderungen selbst aussuchen, die will man nicht gestellt bekommen. Aber ist es dann noch eine Herausforderung?
Nimmst du die Herausforderung an, die dir dein Partner, deine Beziehung, deine jetzige Lebensphase bieten oder leistest du Widerstand?
Der Widerstand hat viele Gesichter. Du fliehst in absurde Nischen. Du wischst die Bedürfnisse, Gefühle, Gedanken deines Partners auf die eine oder andere Weise vom Tisch. Du bist immer viel zu müde, um dich mit deinem Partner zu beschäftigen. Anderes ist immer wichtiger.
Neugestaltung der Beziehung geschieht nach dem Widerstand. Es geschieht, wenn du bereit bist, dich dem Abenteuer der Veränderung zu stellen. Wenn du bereit bist, Neues zu wagen. Dabei wirst du immer wieder mit der Angst vor Veränderung, Angst vor dem Unbekannten konfrontiert werden. Das ist in Ordnung.
Der Weg in eine glückliche gelingende Beziehung ist der Weg in die Integration. Nicht nur in die Integration von Abenteuer und Sicherheit. Aber auch. So wie ein glücklicher Mensch einer ist, der seine Stärken und Schwächen, seine inneren Widersprüche und all das Ungelebte integriert hat, der sich selbst annimmt als ein Ganzes und nichts von sich selbst ausgrenzen muss als igitt und pfui und schambehaftet und furchterregend, so ist eine glückliche Beziehung eine, in der alles leben kann.
Was heißt das? Nehmen wir die drastischen Beispiele: Der Beamte, der bei der Prostituierten unsafen Sex verlangt. Er ist natürlich in sich selbst völlig uneins: Er verdrängt seine Sehnsucht nach Abenteuer und Risiko aus seinem Leben und steckt es in eine Nische. Dort geschieht dann genau das, was seine Angst vor Abenteuer und Risiko bestätigt: Er wird zum Lügner, zum Betrüger, er
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