Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
bringt seine Frau – und sich selbst – in Lebensgefahr, er schämt sich und spaltet diesen Teil immer stärker ab.
Welche Angst müsste dieser Mann aushalten, wenn er seine Bedürfnisse nach Abenteuer und Risiko an seine Frau herantragen würde? Was würde geschehen? Keiner weiß es. Aber es wäre völlig neu, unbekannt. Vielleicht langweilt seine Frau sich schon lange zu Tode mit ihm. Vielleicht würde er die Überraschung erleben, dass sie in Wirklichkeit eine ganz andere ist. Vielleicht könnte er aber auch das andere aus ihr herauskitzeln. Die Hure in seiner Frau wecken. Welch Abenteuer!
Wenn er den Weg in die Integration nicht geht, muss er
immer mehr abstumpfen, um die eigene Zerrissenheit nicht zu spüren. Und wahrscheinlich stumpft er so sehr ab, dass er auch seine Frau nicht mehr spüren kann. Er wird alles Mögliche tun müssen, um ihr Leid neben sich nicht mitzukriegen. Denn, vorausgesetzt sie liebt ihn, wird sie leiden, weil sie spürt, dass er nur zum Teil mit ihr lebt. Er wird ihre Gefühle, ihre Tränen, ihre Sehnsüchte vom Tisch wischen müssen. Er wird wütend den Raum verlassen, mit den Türen schlagen und ihr sagen, dass sie hysterisch sei. Er wird schweigen oder sagen, dass er gar nicht wisse, wovon sie spricht. Er wird Ausflüchte benutzen oder so tun, als ob er sie verstehe, und in Wirklichkeit versuchen, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Und in Sicherheit bedeutet da, wo er nicht spüren muss, was er eigentlich tut.
Oder nehmen wir das Paar, wo der Mann mit Prostituierten oder in Klubs sadomasochistische Praktiken betreibt. Seine Freundin weiß davon nichts. Sie ist für ihn die Süße, die Liebe, die Unbefleckte. Er will sie heiraten und mit ihr Kinder haben. Aber er hat eine Frau kennengelernt, die er zu Sadomaso-Sex bewegen konnte. Nach der ist er jetzt süchtig, obwohl sie das Ganze nur tat, um ihm zu gefallen, und sofort danach den Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Wenn er mit seiner süßen Julia in der Südsee Ferien macht, schreibt er der »verruchten« Lotte wilde SMS . Er kann Julia heiraten, Kinder zeugen und immer lieb und nett und zuverlässig sein – eine glückliche Partnerschaft werden Julia und er nie haben, außer er zeigt sich ihr ganz. Mit all dem, weswegen er sich schämt, was er in sich selbst abspaltet, weswegen er sich vor sich selbst ekelt. Erst dann wird seine Partnerschaft eine Chance haben. Julia wird entsetzt sein. Sie wird weinen, schreien, toben, ihn verlassen wollen. Aber sie wird auch bei ihm bleiben können auf einer neuen Basis. Vielleicht werden sie sich trennen müssen, aber dann hat jeder von beiden eine Chance auf eine gelingende Liebesbeziehung.
Und er hat die Chance, nicht mehr abstumpfen zu müssen, um nicht zu spüren, was für ein unfaires Arschloch er ist.
Was geschieht in den Beispielen, die ich genannt habe? Diese Menschen spalten Teile von sich ab und kommen so in Teufels Küche. Kürzlich las ich einen Artikel von der gerichtspsychologischen Gutachterin, die für jenen Mann zuständig war, der wochenlang in der Presse war. Er hatte seine Tochter im Keller eingekerkert, vergewaltigt und Kinder mit ihr bekommen. Alle wissen es, ich muss es keinem mehr erzählen. Aber was wir nicht wissen, ist, dass dieser Mann die Spitze des Eisbergs ist von einer riesigen Masse von Menschen, die nicht durch die Presse gehen, nicht ins Gefängnis kommen, sich nicht einmal im Dunkeln ins kriminelle Abseits bringen. Sie werden nie zu Vergewaltigern. Nie zu Mördern. Aber jeden Tag erwürgen sie ihre eigene Lebendigkeit und ihre Liebe ein bißchen mehr.
Die Psychologin sagte, er habe vollkommen abgespalten. Wenn die Kellertür zu war, trat er in ein anderes Leben und verschloss diese Tür auch in sich selbst. Wie hätte ich mit meiner Frau und den Kindern oben grillen können, wenn ich an den Keller unten gedacht hätte?, sagte er zu ihr.
Wie häufig geschieht das in deinem Leben? Wie häufig steckst du etwas in den Keller deiner Seele? Und tust so, als wäre es gar nicht da? Vor deinem Partner und sogar vor dir selbst?
Immer wieder hören oder lesen wir, dass irgendein »unbescholtener« Mann – in der letzten Zeit wurde ein Politiker bekannt – in einer unauffälligen Beziehung, mit allem, was zum »Unauffälligsein« dazu gehört, leider ein heimlicher Kinderpornograph ist. Wenn diese Menschen auffliegen, sind sie oft nicht einmal erschrocken über sich selbst, nicht berührt von ihrem verlogenen Leben, das sie neben ihrer Frau
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