Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
dass er nicht bequem war, dass er arbeiten konnte, dass er sich eindeutig dieser Ehe verpflichtet hatte, auch wenn er
die Verpflichtung nicht mit Liebe füllte. Schleppend ging es Schritt für Schritt voran.
Susanne hingegen, nachdem sie sich damit auseinandergesetzt hatte, wie sie groß geworden war, und begriffen hatte, dass sie es kannte, betrogen und nicht respektiert zu werden, blieb nicht bei der Erschütterung stehen, sondern strebte mit aller Entschiedenheit nach einem anderen Leben.
Sie hatte ihre Kindheit in einem Hotel mit Gasthaus verbracht. Es hatte keine Intimität für sie gegeben, Erziehungsfragen wurden im Gasthaus debattiert, sie musste früh kellnern, und es kam auch vor, dass ein Gast ihr an den Hintern griff. Die Anmachsprüche der »alten Knacker« ekelten sie, trotzdem musste sie freundlich sein. Respektvollen Umgang mit sich selbst hatte sie nicht kennengelernt. Ihre erste große Liebe war der Dorf-Don-Juan gewesen, der sie umgarnt und dann mit ihrer Cousine betrogen und fallengelassen hatte. Sie hatte sich zur Schule und später zur Universität gerettet. Als sie Sebastian kennenlernte, war sie auf dem Höhepunkt ihres Befreiungsweges von zu Hause angelangt. Eine angehende selbstbewusste Architektin mit langen blonden Haaren und einem hübschen schmalen Körper, die von ihrem Chef geschätzt und von vielen Männern gemocht wurde.
Sebastian wollte sie, und er bekam sie. Er war respektlos, aber er war in der Lage, Frauen das Gefühl zu geben, begehrenswert zu sein. Zumindest anfangs. Ein Eroberer, der viel zu egozentrisch war, eine Frau wirklich zu sehen, zu erkennen, zu lieben, der mit jeder Eroberung nur immer wieder sich selbst das Gefühl gab, ein »toller Hecht« zu sein.
Susanne begriff in der Therapie schmerzlich, dass sie in einer Beziehung lebte, in der sie nicht geliebt wurde. Sie begann, sich selbst zu respektieren. Auch ihren Körper. Sie begriff, dass sie nicht frigide war, sondern nur vollkommen verängstigt und zurückgezogen. Sie begann, ins Leben zu treten. Sie machte verrückte Dinge. Tanzte barfuß auf einer exklusiven Party. Kaufte sich unsinnig teure Dessous. Trat
einem Tischtennisverein bei. Und als sie so weit war, warf sie Sebastian raus.
Erst da brach er zusammen. Da erst weinte er und konnte nicht aufhören. Da erst fühlte er, wie sehr er Susanne verletzt hatte. Da erst berührte ihn ihr Schmerz. Da erst merkte er, wie sehr er sich gefürchtet hatte, sie wirklich zu lieben.
Er hatte so viel getan, um seine Abhängigkeit nicht zu fühlen. Jetzt, wo er allein wohnte und jeden Tag mit einer anderen Frau hätte rummachen können, ödete ihn die Idee an. Er merkte erst jetzt, dass es nur Susanne war, die er wollte, und dass er Angst gehabt hatte, sie wirklich zu lieben, weil nach seinen Kindheitserfahrungen Liebe unerträglich verletzlich machte und die Einsamkeit, wenn man allein gelassen wurde, Todesangst verursachte. Er warb zart und liebevoll und beharrlich um sie. Anfangs wollte sie keinen Kontakt. Dann ein Telefonat einmal wöchentlich. Dann ein Treffen.
Das alles ist lange her. Manchmal habe ich noch Kontakt zu ihnen. Seit fünf Jahren leben sie wieder zusammen. Es ist verblüffend, wie sehr sie sich geändert haben und wie jung und verliebt beide – heute Mitte fünfzig – sind.
Während ich an diesem Kapitel schreibe, bin ich in den USA . Ein Land mitten in der Krise. Und alle sagen: Wir sind überrascht worden. Damit hat keiner gerechnet. Das erinnert mich an die vielen Leute, die verlassen werden, plötzlich in der Krise ihres Lebens landen und völlig überrascht sind. Aus heiterem Himmel gefallen. Wieso eigentlich?
In USA begann alles mit den Häusern. Und der Gier. Und es ist überhaupt nicht so, dass nicht rechtzeitig gewarnt wurde. Sogar Bücher wurden veröffentlicht, in denen gesagt wurde: Das Ganze wird in einem Desaster enden.
Es erinnert mich fatal an Liebesbeziehungen. Die Soziologin Eva Illouz hat in ihrem Buch »Der Konsum der Romantik« beschrieben, wie sich Kommerz und Gefühle im heutigen Kapitalismus gegenseitig durchdringen. Wie sollte
es auch anders sein? Es sind ja die gleichen Menschen. Es ist diese Persönlichkeitsstruktur, diese Lebenshaltung, die die Welt in diese Wirtschaftskrise getrieben hat: Die Menschen sind verlogen, unreif, gierig. Und wenn ein Spielgewinn lockt, blenden sie die Realität aus, hoffen, sie kämen damit durch.
Wir erleben bei den Verantwortlichen für die Wirtschaftskrise das Gleiche wie in
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