Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
»Partner« zu sein, müssen wir beides können: uns durchsetzen, wissen, was wir wollen und es auch formulieren, Grenzen setzen, die unser Partner zu respektieren hat, und auch anpassen, mitfühlen, mitschwingen, uns berühren lassen von den Gefühlen, Gedanken, Wünschen des andern.
Ich gehe davon aus, dass sich in eurer Partnerschaft schon viel bewegt hat, seit ihr mit diesem Buch arbeitet. Wenn alles gut gelaufen ist, habt ihr ein Gefühl von Nähe wiedergefunden und seid euren destruktiven Verhaltensweisen gegenüber aufmerksamer geworden. Also können wir uns jetzt möglichst entspannt der Konfliktarbeit zuwenden.
Konflikte
Ich bin an der äußersten Südspitze Indiens angelangt. Hier gibt es eine kleine Insel, wo der große indische Weise Vivekananda meditiert hat. Auf einem großen Plakat stehen kluge Sprüche. Einer lautet sinngemäß: Geh mit dem, was du sagst, bewusst um. Ein Wort kann schneiden wie ein Messer, stechen
wie ein Schwert, tödlich sein wie der Biss einer Schlange. Ein gesagtes Wort kannst du nicht zurücknehmen.
Steht das nicht im Widerspruch zu der Aufforderung: Sprecht über alles, sprecht alles aus? Nein, steht es nicht. Ja, sprecht es aus. Aber bevor ihr sprecht, achtet auf euren Blick, und wenn ihr sprecht, achtet auf euren Ton.
Dein Ton im Konfliktfall sollte von Respekt geprägt sein. Jetzt denken viele bestimmt – so wie ich – an dieses Paar, das aufgrund zahlreicher Kommunikationsregeln auf gestelzte gekünstelte Weise miteinander spricht und so garantiert Nähe vermeidet. Zum Konflikt gehört auch Streit. Zum Streit gehören auch Wut und auch mal ein lautes Wort. Absichtliches Verletzen der seelischen oder körperlichen Integrität des andern gehört aber nicht in eine Liebesbeziehung. Beleidigungen, Beschimpfungen, Unterstellungen, körperliche Angriffe, all das bewirkt das Aus für eine Partnerschaft. Menschen, die sich selbst achten, ziehen eine Grenze zu einem Menschen, der sie nicht respektiert.
Das also betrifft den Ton: Respekt, Wahrung beiderseitiger Integrität.
Das zweite, weniger Selbstverständliche, aber ungemein Wichtige für eine gelingende Beziehung ist der Blick. Liebende blicken einander liebend an. Und Liebende bewahren diesen Blick füreinander. Sie tun etwas dafür, vom kalten Blick des Streits so schnell wie möglich wieder zum Blick der Wärme und der Liebe zurückzukommen. Viele Konflikte wären vermieden, wenn der liebende Blick zum Alltag des Paares gehörte.
Vor zwanzig Jahren während meiner Paartherapieausbildung nahmen mein Mann und ich an einer Übung teil, wo wir einander anschauen und vor unseren Augen den andern altern lassen sollten, vielleicht gebrechlich werden, hilfsbedürftig. Mit Tränen in den Augen sagte mein Mann damals: Du wirst nie alt werden, du bekommst vielleicht weiße Haare und Falten, aber du wirst immer diese lebendigen Augen
und diese junge Ausstrahlung behalten. Damit machte er mir ein großes Geschenk, das des liebenden Blicks.
Es gibt das Gegenteil. Den abwertenden, kritischen Blick, der auf Mängel aus ist. Nicht selten ist es der Blick, den wir auf uns selbst richten. Die sinkenden Brüste, der dicker werdende Bauch, die grauen Haare, das Doppelkinn. Oder die angeborenen Defekte: die gespaltene Brustwarze, die Birnenform des Körpers, die zu lange Nase.
Partner, die uns lieben, lieben gerade diese »Makel« an uns. Sie machen uns nämlich unverwechselbar. Und besonders verletzlich. Und besonders berührbar.
Wie häufig kommen bildschöne Frauen zu mir in die Praxis und erzählen mir von ihren vielen Makeln. Genau diesen kritischen Blick richten wir auf unseren Partner, wenn wir von ihm verletzt, enttäuscht, gekränkt sind und es nicht wiedergutgemacht wurde. Kurz, wenn wir in eine Krise gerutscht sind. Oft allerdings sind wir in eine Krise gerutscht, weil wir den kritischen Blick trainiert haben und nicht den liebenden. Weil wir auf den Makel aus sind und nicht aufs Geschenk, auf die Besonderheit und Einmaligkeit des andern.
Es ist, als wollten wir uns schon im vorhinein vor dem Schmerz schützen, diese Liebe zu verlieren. Wenn ich meinen Partner anschaue und mich auf all das fokussiere, was mir an ihm gefällt, werde ich weich, und wenn ich weich werde, werde ich verletzlich. Ich spüre, dass dieser Mensch für mich ganz besonders und unersetzlich ist. Also schau ich weg von seinen schönen Augen, seinen geliebten Händen, seinem süßen Hintern zu seiner kahlen Stelle auf dem Kopf, dem beginnenden Bierbauch,
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