Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
dem Doppelkinn. Und er macht natürlich das Gleiche mit mir. Eine Spirale der gegenseitigen Abwertung beginnt.
Manche Menschen schützen sich auf diese Weise von vornherein vor der Gefahr der Abhängigkeit in der Liebe. Unnötig zu sagen, dass das genau diejenigen sind, die sich verzweifelt nach Nähe sehnen.
Jan kam zu mir, weil er an seinem Verhältnis zu Frauen »arbeiten« wollte. Vierzig Jahre alt, hatte er noch nie mit einer Frau zusammengelebt. Die Aufarbeitung seiner Geschichte war einfach. Seine Mutter, verheiratet mit einem Alkoholiker, hatte ihre Enttäuschung auf alle Männer übertragen. Sie war fordernd und kontrollierend. Sein Vater war schwach und konnte ihm keine Orientierung bieten. Jans Gefühle für seine Mutter waren, so lange er denken konnte, extrem ambivalent. Einerseits bemühte er sich, ihre Anerkennung zu erringen, andererseits hasste er sie geradezu. Früh im Krankenhaus gewesen, von der Mutter weg, war er dort zwar der Liebling einer Krankenschwester gewesen, aber von der Mutter entfremdet. Als er nach Hause kam, litt seine Mutter darunter, dass er bei ihr fremdelte.
Jan hatte also ganz früh schon zweimal die Erfahrung gemacht, einen geliebten Menschen zu verlieren. Und er hatte zweimal schon ambivalente Beziehungen gehabt: Die Krankenschwester war lieb und nah, aber sie war nicht die Richtige, die Mutter war zwar bemüht, aber sie war zum richtigen Zeitpunkt nicht da gewesen, also eine Enttäuschung.
In Jans Fall kam leider eine Erfahrung hinzu, die seine Ambivalenz Frauen gegenüber verstärkte: Ungefähr mit zehn Jahren sah er einen Pornofilm, in dem eine Frau gewalttätig mit einem Stock penetriert wurde. Eine starke Ambivalenz beim Anschauen dieses Films erinnerte er: einerseits Ekel, andererseits Faszination.
Die meisten Menschen haben nicht so viele negative Erfahrungen gemacht und haben trotzdem riesige Angst vor der Abhängigkeit in der Liebe. So nähren sie ständig ihre Ambivalenz. Jan nährte seine Ambivalenz durch immer die gleichen Erfahrungen: Er konsumierte Pornofilme, die ihn einerseits anzogen, andererseits ekelten. Er fühlte sich immer wieder von Frauen extrem körperlich angezogen, die ihn gleichzeitig extrem abstießen. Sie waren einerseits, wie er es beschrieb, ganz »süß« und weich, konnten aber im Nu
umschwenken zu unfreundlich bis unverschämt, kontrollierend und fordernd. Nach einer solchen Frau war er verrückt, gleichzeitig hasste er sie.
Ihm wurde im Laufe unserer Arbeit und seiner Erfahrungen bewusster und bewusster, dass er sich auf diese Weise schützte vor einer Beziehung, nach der er sich gleichzeitig sehnte, in der er sich nämlich, wie er es nannte, »geborgen und zu Hause« fühlen konnte. Er verband sich nicht mit einer Frau, er war verbunden mit der Ambivalenz.
Überdeutlich wurde das, als er sich von einer warmherzigen Frau angezogen fühlte und sehr phantasievoll um sie warb. Als sie auf sein Werben einging, sich ihm auch sexuell hingab, brachte er einen Sack voller Abwertung der Frau zum nächsten Therapietermin mit, so dass ich ganz erschrocken war: Die Art, wie sie sich kleide, gefalle ihm doch nicht, sie sei zu konventionell, und obwohl ihre langen roten Haare ihn anfangs fasziniert hatten, habe er jetzt doch festgestellt, dass er Dunkelhaarige bevorzuge. Er verweigerte ihr also komplett einen liebenden Blick, und je verliebter sie in ihn war, umso abwertender sprach er über sie.
In der Folge häuften sich solche Begegnungen. Jans Frauenverachtung schälte sich immer deutlicher heraus. Er bemerkte, wie stark seine Freunde, die in festen Beziehungen lebten und Kinder hatten, unter der Fuchtel ihrer Frauen standen. Und dann sagte sein ältester »Kumpel«, er würde keine Pornos mehr gucken, weil das seine Frau verletze. Jan war entsetzt und sprach eine Therapiestunde lang darüber, dass er sich überlegt habe, eigentlich doch keine feste Beziehung zu wollen.
Es wurde immer klarer: Je liebenswerter und liebender eine Frau wirklich war, umso größer wurde Jans Angst, sie zu enttäuschen und von ihr verlassen zu werden. Der Frau als Mann nicht standhalten zu können. Um dieser Gefahr zu entgehen, baute er sich immer perfekter auf. Er wurde ein perfekter Tänzer. Er ging fünfmal die Woche zum Fitnesstraining
und fuhr dreimal mit dem Rennrad. Er fand, er wäre ein toller Kerl und beschäftigte sich viel mit seiner Potenz.
Als ich mit Jan den liebenden Blick probte, fand er das lächerlich und überflüssig. Als ich sagte, ein
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