Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Bey, was ist geschehen?» «Was sollte geschehen sein, ich habe alles, was ich weiß, gestanden.» «Und warum, was war?» «Was immer, das hält niemand aus, schaut mich doch an!» «Was machen sie?» «Sie haben ein eigenes Instrument hergestellt, um zu verhindern, dass man den Kopf bewegt, aus Eisen, so wie es die Fotografen benutzen. Man wird hingesetzt und gefesselt. Wer so auf dem Stuhl sitzt, kann sich kein bisschen bewegen. Dann fangen sie an, die Armgelenke ganz langsam zu pressen. Die Knochen beginnen zu knacken und zu krachen, Ober- und Unterarm werden immer dicker, wie ein frischer Brotlaib schwellen sie an. Ich kann euch diese Qualen nicht beschreiben. Weder Rufen noch Schreien, weder Jammern noch Winseln bringt irgend etwas. Dann sah ich ein, dass es doch nichts nützt, öffnete meinen Mund und sagte alles.»
XX.
Istanbul amüsiert sich
Genussgifte
Die osmanischen Autoritäten haben sich mit den alten und neuen Genussgiften Wein bzw. Kaffee und Tabak nicht immer abgefunden. Gegen die Tolerierung des Weins sprach das eindeutige religiöse Verbot, Kaffee und Tabak wurden nach anhaltendem Widerstand am Ende geduldet. Vielleicht sollte man hinzufügen, dass es nicht nur Verbote «von oben» gab, sondern manche Trinker und Raucher auch zu gewissen Zeiten eine Art «freiwillige Selbstkontrolle» ausübten. Ahmed Râsim schreibt in seinen Erinnerungen davon:
In unserer Jugend wurde in den
Kandil-N
ä
chten
, an den Vorabenden des Freitags und im Fastenmonat
Ramazân
nicht getrunken, wenn man beabsichtigte, am folgenden Tag die Friedhöfe und Mausoleen der Heiligen zu besuchen. Die große Mehrheit pflegte im Trauermonat
Muharrem
bis zum Zehnten bzw. zum Ende, also bis zum Geburtstag des Propheten, nicht zu trinken. Es gab auch welche, die dem
Receb
und
Şabân
entsprechend ihre Achtung erwiesen, die Zahl der Nichttrinker nahm ab Mitte
Şabân
ständig zu.
Die in Galata konzentrierten Weinschenken der Griechen bedeuteten auch für muslimische Zecher eine ständige Versuchung. Ein von Sultan Süleymân um 1560 erlassener Befehl, die mit Wein beladenen Schiffe im Goldenen Horn zu verbrennen, inspirierte den großen Bâkî zu einem der bekanntesten Gaselen der osmanischen Klassik.
Des Sultans Schwert der Macht schnitt den Weg zur Weinschenke ab;
Es zerschnitt den Raum zwischen Istanbul und Galata wie nichts.
Des Weinschiffs Ort kam zwischen Wasser und Feuer,
Das Verhängnis vernichtete die Trinkgelage der freidenkenden Geister.
Meint nicht, es wäre Feuer, was die Weinschiffe verbrannt hat:
Vielmehr entzündeten sie sich vom Strahl des Schwertes der Macht.
Auf dem bläulichen Meer erglänzte wie der Neumond
Das derart mit rotem Wein durchsetzte Seewasser.
Mit der Herrlichkeit der Harfen- und Flötenmusik sowie mit jener des Zeitalters des Pokalkreisens ist es vorbei:
Nun koste, heuchlerischer Sufi, die Lauterkeit der Zeit.
Die Becher sind des reinen Weins entleert, die Schenken ausgestorben.
Die Scheinheiligen treffen voll Erstaunen auf diese Leere.
Oh Bâkî! Wie ist es um die Zeit des Feierns bestellt
In dieser Welt, wo sich ohne Unterlaß neun Kelche drehen?
Ein von Sultan Ahmed I. im Sommer 1613 verfügtes Weinverbot wurde von dem Chronisten Na‘îmâ mit weniger Pathos als Skepsis kommentiert:
Der fromme Padischah, der das Religionsgesetz wieder zum Leben erweckte und die Missstände bekämpfte, verbot in diesem Jahr in allen osmanischen Ländern den Wein, der Streit und Schlechtigkeit bewirkt und die Mutter allen Übels ist. Es wurden die Humpen zerschlagen, die Säufer vertrieben und die Weinschenken geschlossen. Er erließ einen
Fermân
, um die Steuerpacht für Wein, die (dem Staat jährlich) viele Tausend
Akçe
einbrachte, aufzuheben. Man kümmerte sich nicht um den Verlust, sondern behielt den (moralischen) Vorteil im Auge.
Na‘îmâ fügt nach Erfüllung seiner Chronistenpflicht resigniert hinzu: «Freilich haben im menschlichen Wesen die Schlechtigkeit und das Übel die Oberhand. Es verging nicht viel Zeit, und man trank wieder wie eh und je.»
Das korrekte Quantum Rakı
Ahmed Râsim hat sich in fast wissenschaftlicher Weise mit dem maximalen Quantum auseinandergesetzt, das ein Trinker konsumieren darf, ohne Gefahr zu laufen, vom abendlichen Genießer
(akşamcı)
zum Gewohnheitstrinker
(gündüzcü)
zu werden. Im Jargon der Rakı-Freunde heißt diese Tagesmenge «Nahrung»
(gıda).
Das Quantum
gıda
entspricht einer kleinen Fünfundzwanzig-Dirhem-Karaffe
(karafaki)
bzw. dem
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