Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
Vom Netzwerk:
anderthalbfachen davon (3,1 × 25 = 77,50–116,25 g). Als
gıda
darf man keinesfalls zwei, drei kleine Karaffen, eine Hundert-Dirhem-Flasche oder acht bis zehn Gläser der in letzter Zeit den Kneipiers und Gazino-Betreibern sehr zupass kommenden
Doublée-
Gläser durchgehen lassen. Das Maß für die Erzeugung der «Gutgelauntheit»
(neşe)
genannten ersten, leichten Trunkenheit ist, je nach Glasgröße, anderthalb
Doublée
, für das «Beschwipstsein»
(çakırkeyfi)
sind zwei, für den «eigentlichen Rausch»
(keyf)
drei, fünf oder sechs erforderlich … Bei all dem ist die Qualität des Rakıs zu berücksichtigen. Schlechter Rakı, d.h. ein aus dem Kessel destillierter Sprit oder die verschiedenen
calkama
genannten, aus rohem Sprit gewonnenen Sorten, lohnt nicht gekostet zu werden und verdient es auch nicht, als Ration durchzugehen. Guter Rakı wird, wie jeder weiß, aus gegärten Trauben regelrecht mittels gewöhnlicher Kessel destilliert.
    Die Rakı-Kunde Ahmed Râsims behandelt den damals in
grado
gemessenen Alkoholgehalt und die Wassermenge, die den entsprechenden Sorten zuzugeben ist. Bei mittelstarken Sorten gibt man so viel Wasser hinzu, wie Rakı im Glas ist. «Ich trinke meinen 19
grado
-Rakı mit der zweieinhalbfachen Wassermenge und nehme mir dafür fünfundvierzig bis sechzig Minuten Zeit.» Der Kenner strebt nur den leichten Rausch an. Der Tag-und-Nacht-Trinker erreicht diesen Zustand nicht mehr. Betrunkenheit endet in Zank und Streit, im Zerschlagen von Gläsern und mit dem Umstürzen von Tischen. Der gepflegte Trinker hingegen führt eine feinsinnige, kultivierte Konversation und hört dazu Musik.
    Ahmed Râsim beschäftigt sich auch mit den unumgänglichen
Meze
, der festen Nahrung, die sich von Individuum zu Individuum unterschied. Offensichtlich gab es bei konservativen Rakı-Trinkern eine Vorliebe für Obst, Salate und Gemüse, während «fette» Nahrungsmittel einschließlich Fisch viel seltener als heute vorkamen.
    Der Inspekteur des Fischmarkts, der ehrwürdige Ali Beyefendi, pflegte zu sagen: Ich habe viele Jahre die Aufsicht über den Fischmarkt geführt. Jetzt habe ich die achtzig überschritten. Zu keiner Zeit habe ich Fisch als
Meze
zu mir genommen. Die grünen Früchte der Saison machen einen munter und schlagen nicht auf den Magen.
    Wie immer, der berühmte, inzwischen verstorbene Baba Yaver, der ein alter Feinschmecker war, ließ sich für
Keten Helva
(auf Fäden gezogene Helva-Art) totschlagen. Er betrat die Kneipe wie der Gaul eines Grünzeughändlers. In beiden Händen trug er schwer an Salatbüscheln. Wenn man ihn fragte, pflegte er zu sagen: «Das liebste
Meze
dieses Schweins ist die Melone.»
    Ahmed Râsims idealer Rakı-Trinker ist ein Genießer, der seine Grenzen kennt.
Und ganze Stadtteile stanken …
    Seit der Tabak Ende des 16./Anfang des 17. Jahrhunderts, wahrscheinlich über englische und portugiesische Seeleute aus Persien und Indien eingeführt, die osmanischen Hafenstädte erreichte, hat er den Alltag und das Wirtschaftsleben der Türkei wie kaum ein anderes Genussmittel geprägt. Der aus dem ungarischen Pécs stammende Historiker İbrâhîm «Peçevî» (1574–ca. 1649/50) war als junger Mann Zeuge des ersten Auftretens von Tabak:
    Den Tabak brachten wahrscheinlich die Engländer im Jahre 1600/01 und verkauften ihn unter dem Vorwand einer Arznei gegen einige Krankheiten. Einige Freunde ergaben sich dem Tabak, indem sie sagten, «der Tabak erhöht die Stimmung». Später begannen auch andere ihn zu benutzen, und auch einige Ulemâ sowie Staatsmänner waren dieser Leidenschaft verfallen. Durch den übergroßen Gebrauch des Tabaks von Seiten einiger Vagabunden und Parasiten waren die Kaffeehäuser derartig verqualmt, dass die Leute drinnen einander nicht sehen konnten. Auf öffentlichen Plätzen ließen sie die Pfeifen nicht aus den Händen. Sie bliesen einander den Rauch in die Augen. Plätze und ganze Stadtteile stanken. Über den Tabak erschienen außerdem geistlose Verse und Loblieder.
    Tabak wurde, wie in Europa, in langen Pfeifenrohren (
çibuk
) geraucht. Der Tschibuk war bis zum späten Aufkommen der Zigaretten ein Attribut von Männern und Frauen. Sein Rohr war aus Holz, der Pfeifenkopf meist aus Ton, das Mundstück
(lüle)
manchmal aus Bernstein. Die Stadt Lüleburgaz auf dem Weg von Istanbul nach Edirne verdankt ihren Namen der Pfeifenkopfproduktion. Im 19. Jahrhundert wurde Meerschaum
(lületaşı)
, den man in der Gegend von Eskişehir förderte, ein

Weitere Kostenlose Bücher