Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Mädchen besteht. Auf der anderen Seite eine Handvoll Französinnen, die singen. Wir sind in einem riesigen Salon, von 40 oder 50 Gaslampen erhellt. Das Fräulein, das dich bedient, ist eine süße Kleine, die jedermann für sich einnimmt. Stets zu deinen Diensten. Wenn man Kaffee verlangt, bekommt man Zucker und Kaffee getrennt. Tasse und Untersetzer sind makellos. Alles wird auf einem Tablett gereicht, eine Karaffe mit Wasser, ein Glas, kurz: Alles ist appetitlich und kostet nicht mehr als 60
Para.
Eine speziell osmanische Weiterentwicklung des Kaffeehauses war das
Kıraathâne
(eigentlich «Lesehalle») genannte Zeitungscafé. Der älteste, oder wenigstens berühmteste Vertreter war das sogenannte
Kıraathâne-i Osmânî
, das ein Serafim Efendi 1857 am Divanyolu eröffnete. Dass diese «Lesehallen» sehr bald zu Spielhöllen degenerierten, war ein vielfach beklagtes Phänomen. Ahmed Cevâd, ein Autor, der ein kleines Buch über die Zurückstellung der türkischen Frauen am Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben hat, charakterisiert die hausflüchtigen Männer: «Tag für Tag, Abend für Abend, stürzen sich die Männer unter einem geringfügigen Vorwand ins Café, ins Kıraathane, ins Cabaret, wie die Ratten, die in ihre Löcher zurückkehren.» Freilich hatte schon im frühen 17. Jahrhundert der gelehrte und produktive Nevi-Zâde Atâ’î (1583–1635?) den grämlichen Reim verfasst:
Schulen und Medresen sind verfallen,
Kaffeehäuser gelten als des Wissens Hallen …
Karagöz
Der türkische Schattenspieler verfügte um die Wende zum 20. Jahrhundert über ein Repertoire von bis zu 30 Stücken, was der Anzahl der 30 Nächte des Ramazân wohl nicht ganz zufällig entspricht. Teilweise bestehen enge äußerliche und inhaltliche Gemeinsamkeiten mit dem Orta Oyunu (ein Volkstheater ohne Kulissen) und den Darbietungen des öffentlichen Erzählers (
meddâh
). Der Aufführungsort der Schattenspiele waren Kaffeehäuser, Wohnungen von reicheren Untertanen und der Sultanshof selbst. Beschneidungsfeiern boten einen weiteren Anlass für die Aufführung.
Der Spieler (
karagözcü
,
hayyâlbâz
) wird zwar von ein bis zwei Assistenten, einem Sänger und ein bis zwei Musikanten unterstützt, doch handelt es sich letzten Endes um eine «Ein-Mann-Schau», deren Hauptreiz in der Nachahmung verschiedener sozialer und ethnischer Typen liegt. Bis ins 19. Jahrhundert wurde ohne schriftliche Textvorlage gespielt.
Die «Bühne» ist ein durchsichtiges Gewebe, das auf der Seite des Spielers von zwei Öllampen oder Kerzen erleuchtet wird. Die aus gefärbtem, durchscheinendem Leder bestehenden Figuren haben eine Höhe von20–40 cm. Unbelebte Versatzstücke sind teils kleiner, teils größer. Die Figuren werden mit jeweils einem, im Fall des namengebenden Karagöz («Schwarzauge») mit zwei Stöcken bewegt. Die Häuser der Protagonisten Karagöz und Hacivad begrenzen die Bühne rechts und links. Von rechts erfolgt stets der Auftritt von Karagöz. Er ist als ungeschliffene, grob-sinnliche Figur seinem höflich-gebildeten Freund Hacivad gegenübergestellt. Meist zwingt ihn Geldmangel zur Übernahme von Aufgaben, denen er durchaus nicht gewachsen ist (wie im folgenden Beispiel als Briefschreiber). Neben Frauengestalten, die oft Ziel seiner sexuellen Gier sind, erscheinen Vertreter des osmanischen Völkermosaiks (Lasen, Araber, Juden, Albaner, Franken), aber auch allerlei Geisterwesen. Karagöz hat mit Ausnahme der zur Besinnung einladenden mystischen Prologe keine ernsten Dimensionen. Es lebt von drastischen Wortwitzen und grotesken Situationen.
Abb. 35: Karagöz, der Protagonist des türkischen Schattenspiels, als Voyeur auf der Kuppel eines Frauenbads
Wenn man die Frage nach der Herkunft des Karagöz stellt, muss man zwischen den Ursprüngen der Technik und dem Inhalt der Stücke trennen. Die Hypothese, dass die ersten Schattenspieler nach der Eroberung Ägyptens (1517) in der osmanischen Hauptstadt auftauchten, scheint am plausibelsten zu sein. Der bedeutende österreichische Osmanist Andreas Tietze sah das Schattenspiel als eine Antwort auf den im 17. Jahrhundert zunehmenden Druck der Ulemâ auf andere theatralische Formen, insbesondere die mit dreidimensionalen Puppen. Die «Wiedergabe einer Wiedergabe des menschlichen Wesens» entsprach eher den orthodoxen Vorstellungen, die dem Menschen keine Schöpferrolle zugestehen konnte.
Das Stück «Der Schreiber» eignet sich, um in den Geist und die Sprache des Karagöz einzuführen,
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