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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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inoffiziellen Gelegenheiten trugen alle Prinzen, darunter selbstverständlich auch die Söhne meines Vaters, den
Istanbulin
genannten schwarzen Gehrock. In Gegenwart seiner Majestät hielt man es immer so. Wenn die Mutter, Gattin und Töchter des Chediven, d.h. des Vizekönigs von Ägypten, anwesend waren, nahmen sie in ihrer eigenen Loge zusammen mit unserer Großmutter, der
Baş Kadın
, Platz. Die Gattinnen der Minister pflegten, wenn sie sich im Serail aufhielten, mit den Gattinnen des Sultans zusammenzusitzen und das Spiel zu verfolgen. An sehr heißen Tagen baute man im Harems-Garten mit Blick auf den Sultanstrakt eine mobile Bühne auf und spielte leichte Sachen wie das türkische
Orta Oyunu
oder eine Komödie. Man konnte ihnen aus den Fenstern des Serails leicht folgen. An manchen Abenden ließ mein Vater ein Kammerorchester rufen und es gegenüber von seinem Appartement auf dem Rasen auftreten. Ab und zu ließ er auch im Salon Klavier, Violine, Cello oder Flöte spielen. Auch rief er den von ihm sehr geschätzten Tambur-Spieler Cemîl Bey.
Sittengeschichtliche Nachträge:
Lotterbuben und Bordelle
    Die Prostitution von Frauen ist in der Literatur vor dem 19. Jahrhundert selten ein Thema. Unverhüllt pornographische Texte, welche die physischen Eigenschaften der «Lotterbuben» (wie sie Hammer-Purgstall nannte) herausstreichen, sind hingegen keine Mangelware. Der um 1809/10, vielleicht an einer Geschlechtskrankheit, gestorbene Fâzıl Enderûnî wurdenicht müde, die Vorzüge seiner Lieblinge namens Yorgaki, Yorgis, Pandeli oder Antun herauszustreichen: ihre schwarzen Haare, Augenbrauen und schlanken Hüften. Erstaunlicher als die weithin tolerierte Knabenliebe ist die Feststellung Ahmed Cevdets über die plötzliche Verdrängung und Vertuschung der Päderastie durch führende Staatsmänner der Tanzîmât-Zeit.
    Die Zahl der Schürzenjäger nahm (in diesen Tagen) zu, die Lustknaben wurden weniger. Die Sodomiten verschwanden vollständig. Die liebevolle Zuneigung und das Interesse, das in Istanbul seit jeher den jungen Knaben galt, verlagerte sich jetzt, wie es ja auch natürlich ist, auf die Mädchen. Der seit Sultan Ahmed III. bekannte Ausflugsort von Kağıdhâne belebte sich außerordentlich. Sowohl dort wie auch am Bâyezîd-Platz wurde es üblich, von Wagen zu Wagen mit Handzeichen zu flirten. Unter der Prominenz verschwanden mit den notorischen Päderasten Kâmil Pascha und Âlî Pascha auch ihre Gefolgschaft. Denn Âlî Pascha bemühte sich, seine Päderastie unter dem Eindruck von Protesten der Ausländer zu verbergen.
    Damals beklagte sich ein fanatischer Religionsmann bei einem geistreichen Gesprächspartner: «Die Sodomie ist zurückgegangen, wenn nur die Schürzenjägerei auch aufhörte, damit die Welt wieder in Ordnung kommt», und erhielt zur Antwort: «Hoca Efendi, wir können uns heutzutage nicht in die Zeiten des Kalifen Omar zurückbegeben. Wenn du die Geschichtswerke über die Staaten der Omaijjaden und Abbasiden lesen würdest, würdest du den Wert unserer Zeit begreifen und deine Dankbarkeit ausdrücken. Die Welt, die du heute suchst, findest du nicht einmal mehr in Bursa.»
    Etwa gleichzeitig entstand «Die Betrachtung der Welt», eine Art Bildungsroman im Kolportagestil. Der Schriftsteller Evangelinos Misailides (1820–1890) war ein Karamanli, d.h. ein türkophoner Grieche, dessen Werke in griechischen Buchstaben, aber türkischer Sprache vorliegen. Misailides führt seinen Helden, den Advokaten Aleko Favini, der sich nach langen Wanderfahrten die Hebung der Moral der orthodoxen Bevölkerung Istanbuls zur Aufgabe gemacht hat, in das «bekannteste Bordell von Galata». Die
Çaça
(«Puffmutter») vermittelt ihm das intelligenteste unter den Mädchen.
    Während das arme kleine Mädchen, das ich ausgewählt hatte, das Bett herrichtete, öffnete ich das Köfferchen mit den (mitgebrachten) Heiligenbildern und die Dose mit dem Heiligen Öl, entzündete eine Kerze, warf mich auf die Knie und begann zu beten. Das unglückliche Mädchen war sehr erstaunt:«Was ist los,
Sinyor
, kommst Du nicht und schläfst mit mir?», worauf ich sagte: «O meine Geliebte, aus diesen Gott nicht gefälligen Geschichten erwächst kein Heil, am Anfang von allen Dingen müssen wir Gott gegenüber, dem Erschaffer allen Seins, der uns aus dem Nichts erschuf, unsere Gebetspflicht erfüllen, und erst dann dürfen wir uns den Geschäften dieser trügerischen Welt zuwenden.» «Komm», schlug ich vor, «an meine Seite»,

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