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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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aufgebaut.
    Die Kaufleute drängten auf eine Straßenverbindung zwischen Galata und Taksim. Vorrangig war auch der Wunsch nach einer Straßenbahn vom Goldenen Horn zu den höher gelegenen Vierteln. Mit einigem Erfolg wurden die Kaianlagen von Galata für größere Passagier- und Handelsschiffe ausgebaut. Straßenbeleuchtung mit Gaslaternen und Müllabfuhr begannen zu funktionieren. Der europäische Habitus verstärkte sich mit der Anlage privater Parks. Aus den von den Europäern «Grands» bzw. «Petits» Champs des Morts genannten Friedhöfen wurden die öffentlichen Gärten von Taksim und Tepebaşı. Die meisten ausländischen Vertretungen ließen sich im 19. Jahrhundert neue Gebäude errichten. Das galt auch für den Iran, der aber als islamischer Staat das Privileg der Lage in der Altstadt gegenüber der Hohen Pforte genoss, während sich alle anderen Gesandtschaften in Galata bzw. Beyoğlu konzentrierten.
    Auch im Altstadtdreieck traten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wichtige Veränderungen ein. Die Neugestaltung von abgebrannten Grundstücken ermöglichte die Anlage von neuen Wohnvierteln. In den letzten Jahren des Osmanenstaats, 1919–1922, errichtete Mimâr Kemâleddîn neben der Laleli-Moschee ein sechsstöckiges Apartmenthaus für 124 Familien, die im Aksaray-Brand von 1911 ihre Häuser verloren hatten.Voluminöse öffentliche Bauten wie die berühmte Waisenhausschule
(Dârüşşafaka)
, die Wohltätigkeitsanstalt
(Dârülaceze)
und die Universität
(Dârülfünûn)
ragten über die niedrigen Holzbauten empor. Das pompöse Verwaltungsgebäude der Schuldenverwaltung erinnerte die Istanbuler an das berüchtigte
Muharrem-D
ekret von 1881, als der Staat weitgehend zahlungsunfähig wurde.
    Die äußere Verwestlichung war aber nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe islamischer und türkischer Traditionen. Ahmed Cevdet Pascha skizzierte das konfliktreiche Nebeneinander beider Stile in der Tanzîmât-Zeit:
    Wir beschafften uns nach dem Vorbild der Europäer Tische und Stühle für unsere Tafeln. Nur beim Fastenbrechen im Monat Ramazân verzichteten wir nicht auf die herkömmlichen (am Boden ausgebreiteten) Gedecke. Obwohl mit derartigen Dingen unsere Ausgaben anstiegen und die Monatsbezüge nicht ausreichten, wussten die Leute nicht mehr, was sie tun sollten … Die Beamten forderten am Monatsanfang das ihnen zustehende Gehalt … Der Staatsschatz war leer. Die Minister waren zahlungsunfähig. Istanbul wurde von einer großen Krise erfasst.
    Bei wem sollte man die Schuld suchen? Niemand wollte die Verantwortung auf sich nehmen. Alle fielen übereinander her. Die Minister sagten: «Die Ausgaben der Töchter und Frauen des Sultans sind unerträglich hoch. Die Frauen sollen wie früher das Serail nicht verlassen, damit die Ausgaben des Serails auf das bisherige Maß zurückgehen.»
    Die Gegner der Minister brachten vor: «Âlî Pascha kann die Ausgaben einer alle Grenzen überschreitenden Bürokratie nicht bremsen. Die Gattin Fuâd Paschas beschafft sich nach dem Muster der
Madames
jeden Monat eine neue Garderobe und verdirbt damit die guten Sitten der ehrbaren muslimischen Frauen, und Fuâd Pascha gebietet ihr nicht Einhalt. Mit welchem Recht kritisieren sie die Palastverwaltung und die dem Souverän angetrauten Frauen?»
    Eine Darstellung von Orient und Okzident als unvereinbare, ja im symmetrischen Sinn «verkehrte Welten» enthält die kurze Erzählung «Mein Neffe» von Ahmed Hikmet, die wohl um 1898/99 entstand:
    Bei uns gilt es als respektvolle Geste, das Haupt bedeckt zu lassen und die Schuhe auszuziehen, bei den Franken bedeutet es eine Aufwertung, wenn man seine Schuhe anbehält und das Haupt entblößt … Bei uns ist seit jeher das untere Geschoss des Hauses den Dienern vorbehalten, das obere derHerrschaft, bei den Franken ist die Herrschaft im Untergeschoss, die Dienerschaft oben … Die Teppiche, die wir unter unseren Füßen ausbreiten, werden bei ihnen ans Kopfende der Betten gehängt … Bei uns gehen die Männer stets rechts, die Frauen links, bei den Franken sind die Männer links, die Frauen rechts … Wir essen den Reis und die Nudelgerichte am Schluss, sie am Anfang … Bei uns gilt es als gute Erziehung, wenn man beim Essen wenig spricht und schnell isst, sie haben dagegen die Gewohnheit, viel zu sprechen, Geschichten zu erzählen, bei Tisch Kaffee zu trinken, ja sogar ihre Hände an der Tafel zu waschen … Bei uns gilt es als große Ungezogenheit, wenn die Kleinen sich ins

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