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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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islamischen und türkischen Umhang breiten. Mit ihren Medresen, Gärten, Springbrunnen, Fontainen, Moscheen,
Tekyes
, Bibliotheken und Öffentlichen Bädern.
    Der junge Tatare schwärmt von «Steinbauten mit Vordächern» (im Sinn der neo-osmanischen Architekturen eines Mimar Kemâleddîn), von Sportplätzen für Bogenschützen und Reiterspiele, von Klubs für traditionelle Ringkämpfe, aber auch von Akademien, Druckereien, Kongresshallen, Studentenheimen, die aus der ganzen Welt des Islams Zustrom erhalten, Krankenanstalten, Theater und Museen für die Kunst der islamischen und türkischen Völker. Nur in seinem aus Steinen errichteten Haus, das er in der Innenstadt bewohnt, kann er die Vorstellungen von islamischtürkischer Lebensweise verwirklichen, die ihm im großen Maßstab versagt bleiben.
    Er hatte es mit Polsterbänken, Diwanen und Wandbrettern zur Aufnahme von Kopfbedeckungen ausgestattet. An den Wänden hatte er Bilder der islamischen und türkischen Führer und Größen aufgehängt sowie Schrifttafeln mit Koranversen, Sentenzen aus der prophetischen Überlieferung und Dichtungen türkischer Poeten. Seine Zimmer hatte er mit Fayencen aus Kütahya geschmückt.
    Über dem Sturz der Tür seines Arbeitszimmers konnte man den Koranvers «Ihr Gläubigen! Übt Geduld und bemüht euch, standhaft und fest zu bleiben» lesen, während über der Polsterbank Ziyâ Gökalps (1876–1924), des Vaters des idealistischen Turkismus, berühmtes Leitwort hing:
    Das Vaterland der Türken ist weder die Türkei noch Turkestan
Das Vaterland ist ein großes und ewiges Ideal: Turan!
    Gökalp hatte als Vordenker des türkischen Nationalismus großen Einfluss auf die geistige Verfassung der türkischen Republik, der Ahmed Hikmet noch einige Jahre, wenn auch schwer erkrankt, bis zum seinem Tod als Beamter des neuen Außenministeriums in Ankara dienen sollte.

XXII.
Kapitulation und Widerstand
    Nach dem Ersten Balkankrieg (1912) und mit dem Verlust der letzten drei großen europäischen Provinzen war die Grenze Bulgariens und Griechenlands nur noch wenige Eisenbahnstunden von Istanbul entfernt. Manche Zeitgenossen sahen die Notwendigkeit, in einem zukünftigen Krieg die Hauptstadt nach Anatolien zu verlegen. Der Journalist und Bürokrat Süleymân Nazîf (1869–1927) ist der Verfasser eines flammenden Artikels unter der Überschrift «Istanbul ist auf alle Zeiten unsere Hauptstadt».
    Wenn Istanbul in Gefahr gerät, dann ist es unsere nationale Pflicht, nicht die Hauptstadt zu verlegen, sondern die Grenze aufzuheben und zu verschieben, auch wenn es angesichts der allgemeinen Verwirrung zu einem Sturm der Entrüstung kommen sollte. Diese «Gesegnete unter den Städten», diese Kostantinîye, dieses İslambol, dieses Istanbul, welche der Erhabene Muhammad seiner Gemeinde, welche Sultan Osman seiner Nation vor Jahrhunderten prophezeite, ist unsere Haupt- und Residenzstadt für alle Zeiten … Schaut nicht ruhig mit zu, dass dieses Stück Erde ohne Minarette und dass die Minarette ohne den Gebetsruf bleiben. Und wisset mit Entschiedenheit, dass jeder zum Waisenkind wird, wenn Istanbul ohne Minarette ist und seine Minarette ohne den Gebetsruf. Und wir würden alle zu Waisen!
    Unabhängig von strategischen Überlegungen war allen klarsichtigen Osmanen nach 1912 deutlich, dass in der Zukunft aus dem anatolischen Hinterland mit seinen mineralischen und agrarischen Ressourcen das Kerngebiet einer erneuerten Türkei werden musste.
Das Elend des Krieges
    Nâzım Hikmet (1902–1963), der vielleicht bedeutendste Autor der türkischen Moderne, lässt am Anfang seines wahrscheinlich 1941 abgeschlossenen Epos über den Befreiungskrieg (
Kuvva-i Millîye
) die Stadt Istanbulin der ersten Person über das Leid der Menschen und die Schamlosigkeit der Kriegsgewinnler klagen: Wie in einem Geschichtsbuch werden die wichtigsten Fronten aufgezählt, an denen die Jugend des Osmanenstaates verblutete und erfror. Der waggonweise Schwarzhandel mit Lieferungen aus Deutschland, nicht zuletzt mit Zucker, wird wie Hunger, Kälte und Seuchen als Plage dargestellt. In den Sommerbotschaften der verbündeten Deutschen und Österreicher in Tarabya und den Restaurants von Tepebaşı (hier noch als «Petits Champs» bezeichnet) sieht der Dichter hingegen den Rheinwein in Strömen fließen.
    Ich, die Stadt Istanbul

    Habe die Mobilmachung erlebt:
    Kaukasus, Galizien, Dardanellen, Palästina,
    den Schwarzhandel, waggonweise, Typhus, spanische Grippe
    und die Leute vom

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