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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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Brote heraus auf den Ladentisch. Ihre Tracht war die der Leute von Skutari: eine weite Hose
(şalvar)
aus blauem Drillich und der
salta
, eine offen getragene Jacke. Der Schalwar war mal kurz, mal länger. Die langen reichten bis zu den Knöcheln, die kurzen bis zum Knie. Um den Fes auf ihren Köpfen pflegten sie ein farbiges Tuch
(yemeni) zu
winden.
    An der Backstube wurde kein Brot verkauft. Man ging nicht wie heutzutage zur Backstube, um Brot zu holen. Auch die Krämer verkauften kein Brot. Die Brote wurden in die Wohnviertel, bis in die Vorstädte, zu den Häusern der Kunden gebracht. Und das auf Kredit! Die Brote wurden in kleine Säcke gepackt. Man zeichnete auf Stäbchen, die man Kerbholz nannte, die Zahl der ausgelieferten Brote an. Zu Wochenbeginn, alle zwei Wochen oder nur einmal im Monat zahlte man das Brotgeld. Die Verteiler der Brote waren die
Tablakâr.
Zur Backstube gehörten ein Stall und Pferde. Wir hielten sechs Pferde, auf die man die Brote in Doppelkörben lud. Jedes Pferd trug 200 oder 250 Brote. Wir beauftragten damit eigene Leute aus Armudan (Erzincan) und Albaner. Sefer Ağa hatte einen Lehrling, täglich trug er mit seinen zwei Pferden 500 Brote aus. Sefer hatte in Skutari die Mittelschule besucht. Er hatte eine wunderbare Handschrift und konnte hervorragend zeichnen. Seine Beamtenstelle bei der Finanzverwaltung hatte er aufgegeben und machte jetzt den Brotausträger. Sein Revier waren die Viertel von Maçka und Nişantaş. Meister Yuvan und Meister Vangel waren Christen, miteinander verwandt und stammten aus dem Kosovo. Sie hatten zusammen ein Pferd. Ihre Kundschaft waren die Einwohner der Viertel Ihlamur und Yenimahalle … Sefer Ağa besaß europäische Kleidung, trug sie aber nicht. Auch er bevorzugte seine regionale Tracht. Auf dem Kopf trug er ein Filzkäppchen
(takke)
, so groß wie eine Faust. (…)
    Im Sommer [des Jahres 1901], im Monat August, sperrten wir die Backstube in Beşiktaş zu und übernahmen die in (Rumeli) Hisar. (…) Der Preis des Brotes wurde wie heutzutage von der Stadtverwaltung festgelegt. Wir pflegten ein Kilo Brot um einen
Kuruş
zu verkaufen. Damals war das Brot ein Kilo schwer, obwohl alles im Lande mit
Okka
abgerechnet wurde. Die Stadt rechnete den Brotpreis mit 35
Para
und legte den
Tabhiye
genannten Arbeitsanteil auf fünf
Para
fest. Die Backstuben mussten mit den fünf
Para
nicht nur alle Kosten (Salz, Mehl, Arbeitskraft, Miete der Backstube usw.) bestreiten, sondern auch noch einen Gewinn erzielen: Konnte man damit auskommen? Nur wenn man mehrere tausend Brote buk, konnte die
Tabhiye
angehoben werden. Alles war theoretisch und auf dem Papier vorbereitet. Aber in der Praxis funktionierte das nicht …
    Wir gaben, wie die übrigen Backstuben, den Austrägern zwei
Para
Verdienst und stellten ihnen ihr Pferd. Wieviel sie den Kunden abnahmen, war dann ihre Sache. Ihnen drei
Para
zuzugestehen, war ausgeschlossen, dabei wären uns nur zwei
Para
geblieben. Als aber die Backstube des Hasan Paşa bei der griechischen Kirche drei
Para
gab, verließ uns Sefer Ağa und wechselte zu ihr über. Deshalb verloren wir Nişantaş und Maçka und produzierten 500 Brote weniger. Mit einer höheren
Tabhiye
wäre die Backstube im Gleichgewicht geblieben und hätte uns einen Gewinn abgeworfen. Dieser Hasan Paşa (…) war ein reicher und bekannter Mensch. Seine
Yağlı Simit
(fetthaltigeBrotkringel mit Sesam) kosteten einen
Kuruş.
Das heißt so viel wie ein Brot! Die Ausrufe «Kandil-Rosen von Hasan Paşa» oder «Ramazân-Rosen» (für bestimmte in den Kandilnächten verkaufte Süßigkeiten) konnte man in den einsamsten Straßen der Stadt hören. In den heiligen Nächten, in den Stunden des Ramazân vor dem Fastenbrechen kauften die Leute fünf bis zehn Stück. Sie wurden sofort gegessen. Die Stadtverwaltung belegte sie (diese Süßigkeiten) auch nicht mit einem Maximalpreis. Sie (die Hasan Paşa-Leute) konnten den Verkäufern ein
Para
mehr zugestehen, wir vermochten das nicht.
    Die Miete des Backofens war auch eine Last für uns. Der Eigentümer unseres
fırın
war ein hoher Palastbeamter im Yıldız, der Chef der Kaffeezubereiter Süleymân Efendi. Wir zahlten monatlich zehn Goldstücke
(altın).
Beim damaligen Kurs war ein
Altın
108
Kuruş.
Es gab keinen Pferdestall. Deshalb mussten wir für den Stall ein weiteres Goldstück aufbringen.
    Nach diesem Einblick in die betriebswirtschaftliche Seite eines mittelgroßen
Fırın
erklärt Hagop, warum die Familie die Backstube in

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