Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Rakı in Sirkeci (Bahnhofsviertel)
Mittwoch, 13.
Mittagessen im Tokatliyan (Grande Rue de Péra 180); abends Besuch bei Nachbarn
Donnerstag, 14.
Mittagessen bei Yani; abends Karagöz
Freitag, 15.
Im Çalgılı Gazino
(café-concert)
Samstag, 16.
Konditorei in Pera; Rakı im Tokatliyan; Besuch bei Seyfeddin Bey; Griechischer Karneval in Beyoğlu
Sonntag, 17.
Im
Kıraathâne
(Zeitungscafé) von Arifi (am Divanyolu); Arabische Musik, abends Karagöz
Bei diesem Mix aus traditioneller und moderner Unterhaltung läge der Schluss nahe, dass es sich um eine in den Fastenmonat fallende Woche handelt, in der man sich abends beim Karagöz entspannte. Das trifft aber nicht zu. In der überwiegend muslimischen Altstadt gehörte der Besuch von traditionellen Theaterformen noch zum Alltag, vielleicht hat Sa‘îd Bey die Erzähler und Schattenspieler in Begleitung seiner Kinder aufgesucht.
Als Mitglied des Obersten Sanitätsrats war Sa‘îd Bey Beamter des Außenministeriums, von dem er ein Grundgehalt bezog. Das war nicht schlecht, denn es entsprach etwa dem Einkommen eines Ministerialdirektors bzw. Regierungspräsidenten in einer kleineren Provinz. Hinzu kamen die schon angedeuteten Nebentätigkeiten. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild:
Was die Ausgabenseite anlangt, wurden für die Jahre 1901–1906 folgende Prozentsätze errechnet: Lebensmittel 21,9, Personal 13,5, Kleidung 12,6, Haus, Mieten, 17,6, Gesundheit 2,1, Verschiedenes 32,3. Die Ausgaben für Kleidung verraten, dass Sa‘îd Bey auf
bella figura
achtete. U.a. kaufte er einen Übermantel, einen Wintermantel, 3 Anzüge, 11 Krawatten, 3 Fese, 14 abknüpfbare Kragen und 6 Hemden. Zu seiner Ehre sei gesagt, dass der Etatposten Kleidung für seine Gattin nicht geringer war. Für die kleinen Kinder wurde Spielzeug gekauft, die Töchter Semiramis und Seniye besuchten die Lehrerinnenbildungsanstalt (
Darülmuallimat
). Für Semiramis wurde ein Klavier angeschafft. Kosten für die Musiklehrerin fielen nun regelmäßig an.
Zwei willkürlich ausgewählte Tage im Leben des Sa‘îd Bey sollen nun unmittelbar seinen Aufzeichnungen entnommen werden:
17.
Kanun-u sânî
– Donnerstag [17. Januar]: Um halb Drei [8.30] im Kaiserlichen Lyzeum [Galataserail]. Gutes Wetter. Mittagessen bei Yani. Abfahrt vom Gesundheitsministerium nach Beyoğlu um 11 Uhr [16:00]. In der KonditoreiRakı mit Hâmi und Doktor Rifat Bey. Gegen 12 [17:00] in Hâlid Beys Wohnung in Gümüşsuyu. Dort Abendessen. Wir haben uns bei Rakı gut amüsiert. Um 7 [gegen Mitternacht] kehrte ich nach Hause zurück. Die Frau war [tagsüber] in Fatih bei einer Hochzeit. Sie machte Besuche in den Häusern von Nûrî Bey und Muhib Bey. Abends statteten uns [das heißt Sa‘îd Beys Frau] die Damen von Esad Bey, dem Saloniker, einen Besuch ab. Für Semiramis und Seniye begann das Schuljahr in der Lehrerinnenbildungsanstalt.
Während der Donnerstag eher typisch für die «parallele» Freizeitgestaltung des Ehepaars ist, bietet der folgende Freitag ein Beispiel von gemeinsamen Aktivitäten. Ein Moscheebesuch stand allerdings nicht auf dem «Programm»:
Das Wetter ist sehr schön. Wir sind spät aufgestanden. Um 9 [14:00] Uhr fahren wir mit unserem Wagen mit Seniye und Ferdan nach Beyoğlu. Bis zum Kasino von Osman Bey. Bei den Gebrüdern Abdullah lassen wir die Kinder fotografieren. Zum (Kaufhaus)
Bon Marché.
Ziemliches Gedränge. Um eins [18:00] sind wir wieder zu Hause. Die Frau fährt mit einer Mietkutsche nach Beyoğlu. Semiramis, die Dienstmädchen und die Nachbarin Emîne Hanım gehen zu Fuß nach Sultan Ahmed. Abends haben wir Besuch: Lem’i Bey, Muzaffer Bey, Cemâl Pascha, Fu’ad Pascha und Reşâd Bey. Der Nachbar, Kâzım Bey. Hoca Raif, Doktor Vamik und Esad Bey.
Straßenhändler
Nach diesen Exkursen über die Wohnweise der Oberschichten soll hier der Alltag auf den Straßen im Mittelpunkt stehen. Auf dieselben Jahre wie Sa‘îd Beys Aufzeichnungen beziehen sich die Erinnerungen des aus Erzincan stammenden armenischen Autors Hagop «Demirciyan» (Mıntzuru, 1886–1978). Er ist in einer Bäckerei aufgewachsen.
Ich berichte vom Beşiktaş jener Tage (an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert), vom Markt und unserem Backofen. Die Gesellen, die in unserer Backstube schafften, waren Leute aus Şebinkarahisar und Skutari. Sie waren (also) Albaner und Armenier. Sie vermischten das Mehl mit Wasser, kneteten den Teig, wogen ihn ab, reihten ihn auf Backbretter, schoben ihn in den Ofen, dann holten sie die
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