Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Beşiktaş aufgab, um im Jahr 1901 nach Rumelihisar zu ziehen. Obwohl der begabte Junge jetzt die Schule besucht, steht er ab fünf Uhr morgens in der Backstube.
Auch wenn dieser Text nicht mitteilt, ob und wie die Brote in den Stadtvierteln angepriesen wurden, soll hier eine Auswahl aus dem breiten Repertoire an Rufen von Straßenhändlern eingefügt werden. Viele Erinnerungen enthalten Beispiele von Straßenrufen, unübertroffen ist aber der Volksschriftsteller Ahmed Râsim, der seine Auswahl mit Angaben zur Intonisierung versehen hat:
Les Chiens de Constantinople
Die Straßenhunde von Istanbul waren in vorrepublikanischer Zeit so bekannt und berüchtigt, dass kein Reiseführer und kein Reisebericht sie zu erwähnen vergaß. Die Touristen der Jahrhundertwende konnten Postkarten mit den bemerkenswerten, meist in Rudeln auftretenden Tieren erwerben. Nähere Beobachter wussten, dass die Hunde in den einzelnen Vierteln ungleich behandelt wurden. Angeblich profitierten sie von der herkömmlichen Tierliebe der Muslime. Die eher grausame Zwangsverschickung im Jahr 1908 auf die unbewohnte Insel Hayırsız im Marmarameer wurde von vielen Beobachtern kommentiert. Auch Hagop Demirciyan befasste sich mit diesen vierbeinigen Bewohnern der Stadt:
Es wäre eine Unterlassung, wenn man beim Erzählen von diesen Jahren nicht auf die Hunde zu sprechen käme. Die Straßen der Geschäfts- und Wohnviertel der Hauptstadt waren mit ungezählten Hunden überfüllt: auf ihrer europäischen und asiatischen Seite bis zu den Kavaklar (am äußeren Ende des Bosporus). Die meisten Straßen hatten keinen Gehsteig. All diese Straßen waren von einem Ende zum anderen von Hunden belagert. Sie hatten bestimmte Orte in Beschlag genommen, nebeneinander, mit ihren Jungen oder auch ohne. Sie rotteten sich zusammen und lagen vor den Läden der Geschäftsviertel, auf den Schwellen der Wohnhäuser, mit offenen oder halb geschlossenen Augen.
Sie verstanden sich nicht auf das Beißen. Selbst wenn man beim Betreten oder Verlassen eines Hauses oder Ladens über sie schritt und auf den Schwanz oder ein anderes Körperteil trat, erhoben sie sich bloß, heulten auf und legten sich wieder hin. Sie hatten abgegrenzte Gebiete. Ein Hund drang nicht in dasRevier eines anderen Hundes ein oder passierte es. Wenn ein Hund aus dem Viertel Kılıçali im Paşa Mahallesi auftauchte, erhoben sich sämtliche Hunde des Viertels gleichzeitig und begannen zu heulen. Ihre Jungen, selbst die winzigen Welpen, schlossen sich mit ihren feinen Stimmchen dem Höllenchor an. Allerdings fielen sie nicht über den fremden Hund her und griffen ihn an. Der fremde Hund pflegte schon wegen des Geheuls davonzulaufen. Wenn er zum Platz der Polizeiwache von Hasan Paşa ging, heulten die Hunde an dieser Reviergrenze, ging er Richtung Köybaşı taten es die dortigen … Die Ohren der Leute dröhnten von diesen Geräuschen, vom Geheul der Hunde zwischen den Wohnvierteln. Sie wurden wütend. «Schweig, halt’s Maul!», pflegten sie ärgerlich zu rufen …
Sie waren ständig im Freien, im Sommer unter der Sonne, im Winter im Schnee, Regen und Schlamm. Sie erhielten von den Läden und Häusern Brot, Knochen, Essensreste. Ältere Damen pflegten bei den Bäckern fünf oder zehn Brote zu kaufen und sie in großen Stücken an sämtliche Hunde des Geschäfts- oder Wohnviertels zu verteilen. Das galt (bei ihnen) als frommes Werk. Die Leute hatten Mitleid mit den Hunden. Erkrankte ein Hund oder hatte er einen Unfall oder bekam Junge, kam es vor, dass man ihm Milch, Futter oder fetten Joghurt brachte. (…) Wenn jemand aus irgendeinem Grund einen Hund tötete, begannen die Leute zu weinen, im wahrsten Sinne des Wortes zu schluchzen, als wüssten sie, dass die Hunde geschont werden mussten. Die Passanten stimmten mit den Leuten der Gegend überein, schalten den Mann aus, schlugen ihn manchmal, insbesondere wenn er kein Muslim war … Bei der Konstitution im Jahr 1908 wurden die Hunde eingesammelt und auf die Insel İnsiz im Marmarameer gebracht und dort getötet!
Pferd und Wagen
Bis zur Einrichtung der pferdegezogenen Straßenbahn gab es im Großraum Istanbul nur ein Verkehrsmittel, das eine größere Gruppe von Menschen befördern konnte: die sogenannten Marktboote
(pazar kayıkları)
, die zwischen den ufernahen Stadtteilen, den Bosporusdörfern und den nahe gelegenen Inseln pendelten. Einige von ihnen, wie das Boot aus Beykoz, wurden als fromme Stiftungen betrieben, d.h., die Bootsunternehmer
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