Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
Vom Netzwerk:
meisten europäischen Metropolen die Vorgänger der «Elektrischen». 1869 erhielt die Gesellschaft eines gewissen Konstantin Krepano Efendi ein Privileg für den Betrieb von vier Linien. Ab 1872 wurden die Strecken zwischen Azapkapı (auf der Galataseite der heutigen Atatürk-Brücke) und Beşiktaş bzw. zwischen Eminönü und Aksaray befahren. Neben Eminönü entwickelten sich Karaköy und Aksaray rasch zu den Verkehrsknotenpunkten, die sie noch heute bilden.
    Auf flachen Strecken wurden auch zweistöckige Wagen (oben durfte geraucht werden) eingesetzt. Alle Wagen wurden von einem Zweiergespanngezogen, dem an den zahlreichen Steigungen (wie von Karaköy nach Tepebaşı oder Sirkeci nach Sultanahmet) zwei weitere Pferde vorgespannt wurden. Deshalb gab es am Beginn der Steigungen provisorische Stallungen.
    Sadri Sema hat den Pferdebahnen in seinen Erinnerungen an die Jahre zwischen 1900 und 1910 ein eigenes Kapitel gewidmet. Sein ganzes Mitleid galt den Tieren, die er als «lebende Leichname» bezeichnet. Oft genug halfen Passanten «mit weichen Herzen und starken Armen», die Wagen anzuschieben.
    Vor den Wagen lief ein Mann mit Filzmütze, in der Hand ein Signalhorn aus Messing, in das er ununterbrochen blies. Innerhalb der Menschenmenge schuf er der Tramway eine Bahn und versuchte, die über den Weg laufenden Menschen zu warnen, damit niemand zu Schaden kam und zerquetscht wurde. (…) Die Straßen waren gewunden, eng, die Pflasterung vorsintflutlich … Der Wagenlenker, d.h. der Tramway-Fahrer, hatte eine lange Peitsche, mit wirren Fäden und ledernen Troddeln. Der Kerl brachte sie laut zum Knallen, während die Tiere ein, zwei Schritte vorangingen und dann wieder innehielten und sich betrübt ins Auge schauten.
    In diesen Momenten belagerten sämtliche Straßenverkäufer die Passagiere der Tramway, um ihre Waren anzubieten. Eine der skurrilen, wenn auch für die Zeitgenossen wenig erfreulichen Besonderheiten der hamdischen Epoche war das Verbot, vom Oberdeck der Straßenbahn hinüber zu den sultanischen Residenzen von Çırağan und Dolmabahçe zu blicken. Man hatte die Augen zu schließen oder den Kopf in eine andere Richtung zu wenden.
    Ähnlich wie auf den Bosporusdampfern wurden für die Tramway Sonderbestimmungen für weibliche Passagiere getroffen. Die Submissionsbedingungen von 1869 hielten fest: «Für Frauen werden eigene Wagen zur Verfügung gestellt. Wenn die Stadtverwaltung es für opportun hält, werden in Wagen, die von Männern bestiegen werden, eigene Frauenabteile abgetrennt.»
    Es gibt keine klaren Hinweise, ob die Geschlechtersortierung in den Waggons zeitweise schon in den Jahren des Weltkriegs aufgehoben wurde. Im Republikgründungsjahr 1923 verschwand die Trennung zwischen
Haremlik
und
Selamlık
, was aber nicht bedeutete, dass Männer und Frauen ab sofort vermischt saßen oder standen.
    Ein Bericht aus der Zeit der Pferdebahnen enthält wertvolle Angaben zum Fahrpreis: Sein Autor ist der Journalist und Satiriker Ercümend Ekrem (Talu, 1888–1956).
    Soweit ich mich entsinne, kostete das teuerste Billet 60
Para
. Der Gegenwert von 60 Para war damals eineinhalb
Okka
Brot bzw. ein
Okka
Olivenöl, drei
Okka
Zwiebeln, sechs
Okka
Holzkohle für ein
Mangal
, sechs Stück Bleistifte Marke «Krokodil», sechs Zeitungen, zwölf Glas Wasser, ein Paket Zigaretten von der halbmilden Sorte (das ist die 4. Wahl), ein kleines Paket
Bafra
-Zigaretten mit zehn Stück plus einer Schachtel Streichhölzer. Oder man konnte seinen Fes dreimal dafür aufbügeln lassen bzw. seine Schuhe sechsmal putzen. Deshalb zogen es die betuchtesten Kaufleute des Basars unter dem Vorwand der Körperertüchtigung vor, zu Fuß zu gehen, zum Beispiel von Pangaltı (Stadtviertel zwischen Harbiye und Osmanbey) bis zum Überdachten Basar. Sie strömten in Gruppen zu zweit oder zu dritt auf die Straßen, ihre «Hebammentaschen» in der Hand, während die Straßenbahnen fast leer vorbeifuhren.
    Nach den U-Bahnen von London und New York gilt der 1874 eröffnete
Tünel
als ältestes unterirdisches Massenverkehrsmittel. Die 573 m lange Strecke wurde mit zwei Wagen bedient, von denen einer auch für Tiere und Lasten genutzt werde durfte. Der
Tünel
wurde privat betrieben und war das Werk eines französischen Ingenieurs namens Gavand, der britisches Kapital für sein Unternehmen gewonnen hatte. Da der
Tünel
mit der städtischen Pferdestraßenbahn (die den serpentinenartigen Weg über Şişhane unterhalb des noch bestehenden Rathauses von

Weitere Kostenlose Bücher