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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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mussten einen Teil ihrer Einnahmen an eine Moschee oder Schule abführen.
    Nur die Oberschicht verfügte über Pferd und Wagen. Der reitende Sultan entsprach natürlich den Erwartungen seiner Untertanen mehr als ein im Wagen sitzender, kranker oder altersmüder Herrscher. Als sich Süleymân 1566 auf seinen letzten Feldzug begab, ritt er bis Dâvûdpaşa, derersten Wegstation
extra muros
an der thrakischen Heerstraße, um erst dort auf den Wagen umzusteigen. Nach seinem Tod im Feldlager sollte sein Leichnam per Wagen in die Hauptstadt zurückbefördert werden. Der mit 31 Jahren recht junge Mehmed III. kehrte von seiner siegreichen Kampagne nach Eğri/Erlau (1596) mit einem Wagen zurück. Nach der Absetzung Abdülhamîd II. im Jahr 1909 wählte sein Nachfolger Mehmed V. Reşâd für die Schwertumgürtungszeremonie in Eyüp auf den Hinweg ein Dampfschiff, auf den Rückweg einen Galawagen, weil sein körperlicher Zustand das Reiten nicht mehr erlaubte.
    Mit von Ochsen gezogenen Wagen begab man sich zu den Ausflugsorten
(mesire)
im Umland. Als um 1622 auch die Gattinnen ausländischer Gesandter den Wagen benutzten, erhob der Großwesir Einspruch. Die Tatsache, dass viele muslimische Frauen bei solchen Gelegenheiten die Verschleierungsgebote auf die leichte Schulter nahmen, veranlasste die Behörden zu Befehlsschreiben wie dem folgenden aus dem Jahr 1751:
    Es wurde beobachtet, dass Frauen unter dem Vorwand der Erholung und Unterhaltung von Orten wie Üsküdar, Kısıklı, Bulgurlu, Çamlıca, Merdivenli, manche auch von Beykoz, Tokat, Akbaba und Yuşa aus nicht anständig bekleidet mit dem Wagen herumfahren. (Aus diesem Grund) wurde strengstens untersagt, an diesen Orten Wagen zu vermieten.
    Mitte des 18. Jahrhunderts waren in Istanbul 665 Kutschwagen zugelassen, wegen der oben angedeuteten Freizügigkeiten des weiblichen Geschlechts wurde die Erhöhung der Wagenzahl untersagt. Die Behörden bemühten sich aber auch um die Kleiderordnung und die Moral der Kutscher, wie eine Verordnung aus dem Jahr 1826 belegt. Die Kutscher trugen, wie aus dem Text hervorgeht, weite Hosen mit aufwendigen Gürteln und breiten Umhängen.
    Die Zunft der Kutscher
(koçaş)
soll nicht mehr Leute unter der Bezeichnung «Lehrling» beschäftigen, als erforderlich ist. (…) Die Kutscher müssen in Zukunft auf ihre jetzige Kleidung verzichten. Sie sollen engärmelige Filzmäntel und Filzumhänge tragen, als Kopfbedeckung einen grünen
Kalpak
(eine Mütze aus Schafspelz), dessen Rand vier Finger, bei den Lehrlingen zwei Finger misst.
    Zu junge Burschen («mit Flaum, aber ohne Kinnbart») sollten nicht auf den Kutschen dienen. Die Wagenlenker wurden angewiesen, sich an der Vorder- oder Rückseite der Fahrzeuge aufzuhalten, wenn eine Dame den Wagen bestieg.
    Allgemein war Nichtmuslimen das Benutzen von Pferden innerhalb der Mauern einer Stadt untersagt. Ausländische Reisende bestätigen, dass zumindest im 16. und 17. Jahrhundert diese islamisch begründete, gegen religiöse Minderheiten gerichtete Norm der Praxis entsprach. Anfang des 19. Jahrhunderts waren diese Verbote für Nichtmuslime schon vielfach durchlöchert. Wir wissen von einer Ausnahmeregelung, die ab 1815 gebrechlichen und alten Menschen erlaubte, ein Pferd innerhalb der Stadt zu besteigen.
    Das Bedürfnis, die an sich «klassenlose» osmanische Gesellschaft in Rangstufen zu gliedern, wurde auch bei den Kutschfahrzeugen sichtbar. Vierspännig zu fahren, war den allerhöchsten Würdenträgern vorbehalten. Für niedrigere, aber immer noch bedeutende Glieder der osmanischen Elite galt der Phaéton
(fayton)
als ausreichend, eine hochrädrige, offene Kutsche mit zwei bzw. vier Sitzen.
    In der Zeit von Sultan Abdülazîz (1861–1876) nahm der Import von Luxuswagen aus Europa zu. 1869 machte der italienische König dem Sultan einen solchen zum Geschenk. Dass sich höhere Beamte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Wagen leisteten, ohne auf die Dienste der Lohnkutscher zu verzichten, wurde am Beispiel des Sa‘îd Bey in diesem Kapitel vorgeführt. Die heute das Straßenbild beherrschenden Taxis kennen wir erst aus den Jahren um 1908. In der Gegenwart sind nur noch die Prinzeninseln ein Rückzugsgebiet der einstigen Ausflugskutschen. Das Topkapı Sarayı hat eine sehenswerte Abteilung, in der man die Equipagen, die der Hof benutzte, betrachten kann. Sie befindet sich auf der westlichen (linken) Seite des Zweiten Hofs.
Straßenbahn
    In Istanbul waren Pferdebahnen
(atlı tramvay)
wie in den

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