Istanbul: Ein historischer Stadtführer
oder seinen Kopf angeheftet wurde. Noch aus dem 19. Jahrhundert wurden solche Texte für prominente Opfer wie den griechischen Patriarchen Gregor V. (gehängt am 10. April 1821) oder den Alî Pascha von Janina (geköpft Februar 1822) verfasst.
Die Aufgaben der osmanischen Kriminaljustiz beschränkten sich freilich nicht auf das Erdrosseln oder Köpfen von Würdenträgern. Räubern drohte der Galgen. Für Mörder war eher der Pfahl oder Haken bestimmt. Bis in die Reformjahrzehnte des 19. Jahrhunderts steckte man die gewöhnlichen Gefangenen in den Turm des Baba Cafer am Goldenen Horn. Er ist heute noch ein auffälliger Blickpunkt am ehemaligen Fischmarkt (Balıkpazarı), etwa gegenüber der bekannten Moschee des Rüstem Pascha. Man kann den Turm wegen eines sehr populären Heiligengrabs im Untergeschoss auch ohne weiteres besichtigen. Der moderne Strafvollzug begann mit dem Bau des Sultan Ahmed-Gefängnisses im Jahr 1916 unterhalb der Aya Sofya. In den 1990er Jahren wurde es in ein erstklassiges Hotel umgewandelt. Das Gefängnis ist ein herausragendes Beispiel für öffentliche Gebäude im neo-osmanischen Stil. Die ausladenden Pultdächer, blaue Kütahya-Fliesen und ein an die Ecke versetzter Brunnen aus dem späten 18. Jahrhundert lenken die Vorübergehenden von der Zweckbestimmung ab.
V.
Im Herzen der Altstadt
Alle wichtigen politischen, militärischen und religiösen Institutionen des Reichs konzentrierten sich im Bereich zwischen den Stadtteilen Aksaray und Sirkeci. Das erste («Alte») Serail entstand auf dem Gelände des späteren Oberkommandos (Seraskerat) bzw. der heutigen Universität. Die zentrale Bürokratie dehnte sich um die Amtsgebäude des Großwesirs (Bâb-ı Âlî) aus. Der Stadtteil Bâb-ı Âlî ist später zum Presseviertel mit zahlreichen Redaktionen, Druckereien, Verlagen und Buchhandlungen geworden. Die Provinzialverwaltung der Republik
(İstanbul Valiliği)
nutzt heute die verbliebenen Gebäude des alten Bâb-ı Âlî. Die Janitscharen hatten bis 1826 ihre beiden wichtigsten Standorte in der Innenstadt. Ihr Kommandeur, der Yeniçeri Ağası, bewohnte ein opulentes Serail, dessen Gelände später an die oberste Religionsbehörde übergeben wurde. Die Prachtstraße des Divanyolu tangierte diese wichtigen Verwaltungs- und Geschäftsbezirke. Sie soll am Beispiel einer Militärparade aus der Mitte des 17. Jahrhunderts wieder lebendig werden.
Eine Parade auf dem Divanyolu
Die vielleicht größte Militärparade, die der Divanyolu gesehen hat, wurde für İbşir Pascha veranstaltet. Der gebürtige Abchase war ein fähiger Provinzstatthalter, der Mitte des 17. Jahrhunderts mit der Niederschlagung von anatolischen Aufständen betraut wurde. 1654 wurde İbşir zum Großwesir berufen, um ihn und seine beträchtliche Hausmacht in das politische System einzubinden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Pascha die Statthalterschaft von Aleppo inne. Mit der Übernahme des Amtes beeilte er sich nicht sonderlich, sondern bemühte sich um die Konsolidierung seiner anatolischen Anhängerschaft. Endlich bezog er am 28. Februar 1655 das Nasûh Paşa Sarayı, den Palast seiner kindlichen Verlobten Ayşe, einer Tochter des 1648 ermordeten Sultan İbrâhîm. Am folgenden Tag inszenierteMelek Ahmed Pascha die Militärparade, seine Worte an İbşir sind im Folgenden nach Evliyâs Bericht wiedergegeben:
«So Gott will, mein Herzensbruder, werde ich Euch am Morgen als Prozessionsmarschall von Eyüb Sultan aus dienen … Ihr werdet bereitstehende Pferde besteigen und dann am Mausoleum von Ebâ Eyüb Ansârî demütig für einen glücklichen Ausgang der Dinge flehen und um geistliche Führung bitten. Auch werden sie (die Truppen) viele Tausend Tiere opfern und Tausende von Armen damit beschenken. Daraufhin werdet Ihr ein Pferd besteigen, schnell wie der Morgenwind, aber in gemessenem Schritt bis zum Edirne-Tor reiten …
Es folgt die Beschreibung des großen Aufzugs, den İbşir bei der Rückkehr von Eyüb veranstaltete.
Zunächst säuberte der Oberste der Stadtwache
(subaşı)
Tâhir die Durchgangsstraßen und zog mit seinen Soldaten vorbei. Dann bahnten sich der Polizeichef und der
Subaşı
einen Weg durch die Zuschauermengen links und rechts der Hauptstraße und zogen mit ihren Bütteln und Henkersknechten vorüber. Danach kamen die tatarischen Truppen İbşir Paschas, die irregulären
Deli
und
Gönüllü
, die Vorkoster und Kellermeister, die
Müteferrika
und andere erwähnenswerte Regimenter, die
Kapucubaşıs
und der
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