Istanbul: Ein historischer Stadtführer
und fuhren ihn unter Teilnahme einer großen Menschenmenge nach Yedikule … Nachdem sich die Soldaten zerstreut hatten, blieben Dâvûd Pascha und der Kethüdâ Ömer Ağa und der Cebecibaşı und Teile des Pöbels im Turm (des Schlosses). Man sperrte das Tor zu. Als sie sich daran machten, Osmân zu ermorden, verteidigte sich dieser heldenhaft und ermüdete (seine Gegner).
Osmân entkam mehrfach der Schlinge, die man ihm um den Hals legen wollte. Am Ende wurde er doch erdrosselt. Dâvûd Pascha sandte der Sultansmutter Mâh-Peyker (wohlgemerkt der Mutter Mustafâs!) ein abgeschnittenes Ohr als Beweisstück in den Harem. Der Polyhistor Kâtib Çelebî hat in seinem kurzen «Abriss der Geschichte» (
Fezleke
) ein von den Dichtern Istanbuls gesungenes Lied auf den Tod Osmâns festgehalten. Naîmâ war so beeindruckt, dass auch er den Text dieser bald volkstümlich gewordenen Weise wiedergibt:
Er war einst ein großmächtiger Schah,
Sie haben den Herrscher der Welt ermordet!
Er war ein junger Löwe voller Mut,
Sie haben den Herrscher der Welt ermordet!
Er war ein heldenhafter Glaubenskämpfer,
Ein Sultan von edelster Abstammung,
Osmân Hân war er genannt mit Namen,
Sie haben den Herrscher der Welt ermordet!
Während er berufen war, zu regieren,
Während er den Befehl Gottes befolgte,
Während er sich auf die Wallfahrt vorbereitete,
Sie haben den Herrscher der Welt ermordet!
O Herz! Mein Inneres wurde zu Blut,
Mein Schmerz vervielfachte sich,
Alle Verständigen weinen,
Sie haben den Herrscher der Welt ermordet!
Es ist die Stunde des Weltuntergangs nahe nun
Es ist der Tag des Jüngsten Gerichts nun
Die Janitscharen überkommt die Reue nun
Sie haben den Herrscher der Welt ermordet!
Das Genre der Trauerode (
mersîye
) ist eine wichtige Gattung der osmanischen Literatur. Viele stammen aus der Feder großer Dichter. Auf den jungen Osmân hat zum Beispiel auch der bekannte Literat Atâ’î eine
Mersîye
verfasst. Die meisten Oden scheinen verstorbenen Prinzen gewidmet zu sein. Es fehlen aber auch nicht
Mersîyes
auf geliebte Tiere wie Katzen oder Pferde. Hier haben wir es mit einem schlichten und anonymen Vertreter des Genres zu tun. Die bald einsetzende Idealisierung des Herrschers ist erstaunlich, denn gerade sein im Lied vorkommender Plan, sich auf die Pilgerfahrt nach Mekka zu begeben, war höchst unpopulär. Sie sollte, gleichsam eine bewaffnete Wallfahrt, in Verbindung mit einem Feldzug gegen den aufständischen Drusenemir Fahreddîn im Libanon stehen!
Der Sultansmörder Dâvûd entging seiner Strafe nicht. Das Ende des aus Kroatien oder Bosnien stammenden Wesirs war mehr als ungewöhnlich. Dâvûd hielt das Reichssiegel nur 23 Tage in Händen. Aufständische
Sipâhîs
forderten, das Blut Osmâns zu rächen. Sie erwirkten einen Ferman, der zur Inhaftierung Dâvûds und seiner Helfershelfer in Yedikule führte. Zwei Tage später wurde er von dort zum Henkersbrunnen (der Cellâd Çeşmesi im ersten Serailhof) gebracht, um durch das Schwert gerichtet zu werden.
Wie in einem klassischen Geschichtsdrama wurde sein Schicksal durch ein unerwartetes, retardierendes Moment beeinflusst. Der Pascha zog, schon vor dem Henker kniend, das sultanische Handschreiben heraus, das die Ermordung Osmâns angeordnet hatte und dem auch die beiden Heeresrichter «gutachterlich» (also durch eine
fetvâ
) zugestimmt hatten. Die Gattin des Verurteilten, eine Nebenschwester von Sultan Mustafâ I., begann gleichzeitig, Geld an den Henker und unter die Leute zu verteilen, was zum Abbruch der Hinrichtung und der Flucht des Paschas in die Orta Camii führte, die schon zuvor Schauplatz der Ereignisse war. Dort führte sich Dâvûd wieder wie ein amtierender Großwesir auf, bis ihn wenig später das Schicksal Osmâns ereilte. Er wurde mit demselben Marktkarren erneut nach Yedikule gebracht und zusammen mit seinen Genossen getötet. Sein Leichnam liegt unter einem undatierten, großen prismenförmigen Grabstein im Vorhof der Murâd Pascha-Moschee (der Millet Caddesi zugewandt).
Anmerkungen zur osmanischen Gerichtsbarkeit
Es gibt viele Berichte über das Einsenden von Köpfen unbotmäßiger Statthalter nach Istanbul. Die Schädel wurden zuvor gesalzen und in Strohkisten verpackt. Häufig ging der Enthauptung das Erdrosseln voraus. In der Hauptstadt wurden die Schädel im ersten Serailhof zur Schau gestellt. Das Sündenregister der Hingerichteten konnte man auf einem oft sehr wortreichen Blatt (
yafta
) lesen, das an die Füße des Toten
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