Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Oberstallmeister und sämtliche Agas mit 390 Remonten. Es war unbeschreiblich! Es folgten die Soldaten Hasan Paschas, die von Kürd Kara Mehmed Ağa, von Cân Mirza Pascha, von denen jeder mit 5000 bis 6000 Mann vorbeimarschierte.
Evliyâs Schilderung der Militärparade entfaltet wie ein ausgerolltes Band die osmanische Staats- und Militärorganisation: den Unterbau der Truppen, die Gelehrten und Ordensscheiche, die beiden Heeresrichter, den
Nakîbüleşrâf
(Würdenträger, der die Liste der Prophetenabkömmlinge führt), die sieben «Wesire der Kuppel», am Ende die Haustruppen İbşir Paschas, der mit dem Scheichülislam zu Pferd den Abschluss und Höhepunkt der Parade bildet, zu der auch ein große Militärkapelle zählt. Der Abbildungscharakter der Parade für die Schlachtordnung wird besonders deutlich, wo auf die Reiterei hingewiesen wird, die auf dem Schlachtfeld als Flügeltruppen Schulter an Schulter mit den Janitscharen kämpfen. Evliyâ erinnert aber auch an die besondere Loyalität der Sipâhîs zu dem Pascha. Bemerkenswert ist, dass auch die religiösen Spezialisten, angefangen von den Vorbetern, als Kämpfer angesprochen werden und so noch stärker in die Parade integriert werden.
Die einzelnen Marschblöcke waren mehrere Stunden zwischen Eyüb und dem Hippodrom unterwegs. Die «Truppen des Hauses Osman», dassind die Janitscharen mit ihren Filzhauben, füllten wie ein Menschenmeer über drei Stunden den breiten Divanyolu. Die Provinzkavallerie brauchte fünf Stunden. Das Ganze dauerte vom Morgengrauen bis eine Stunde nach dem Nachmittagsgebet. Die Zuschauer waren zahlreich, interessiert und bewegt. Für «Fensterplätze» in Ladengeschäften wurden 10
Kuruş
bezahlt. Die ältesten Einwohner konnten sich nicht an eine vergleichbare Parade erinnern. Als im Block des
Nakîbüleşrâf
die Nachfahren des Propheten mit ihren grünen Turbanen vorbeischritten, gab es niemand, der die Tränen halten konnte.
Nach einer Unterredung mit dem jugendlichen Mehmed IV. im Serail wurde dem Pascha am folgenden Tag das Reichssiegel übergeben, d.h., er wurde in aller Form zum Großwesir ernannt. Sehr bald zeigte sich, dass İbşir nicht in der Lage war, die verschiedenen militärischen Kräfte an sich zu binden. Am 8. Mai 1655 setzte Kürd Mehmed, der noch an der Spitze der Militärparade marschiert war, mit seinen Sipâhîs von Üsküdar nach Istanbul über und forderte die Köpfe des Paschas und des Scheichülislams. Janitscharen schlossen sich dem Aufstand an. Die Meuterer plünderten das bei der Aya Sofya gelegene Serail des Großwesirs, am nächsten Tag wurde die Residenz des Scheichülislam ausgeraubt. İbşirs Forderung, die Heilige Standarte herauszugeben, um mit diesem Staatssymbol den Truppen entgegenzutreten, wurde vom Sultan verweigert. Vielmehr wurde İbşir erdrosselt und sein auf einer Lanze aufgespießter Kopf Richtung Atmeydanı (Hippodrom) gesandt, wo er zur Genugtuung seiner Gegner wenige Monate nach seinem glanzvollen Einzug auf ganz andere Weise paradierte. Murâd Pascha, sein Nachfolger im Amt des Großwesirs, ließ Kopf und Körper in der Türbe Kara Mustafa Paschas beisetzen, des Gönners, der ihm einst den Zugang zum Palast verschafft hatte.
Die Janitscharenkasernen
Das Janitscharenkorps war ursprünglich die Leibgarde der Osmanenherrscher und entwickelte sich erst im späten 16. Jahrhundert zur regulären Armee, die auch dem Großwesir als Heerführer unterstellt werden durfte. Die
Yeniçeri
(das Wort bedeutet «Neue Truppe») spielten bereits bei der Einnahme Istanbuls eine entscheidende Rolle. Die Janitscharen blieben die Kerntruppe und stellten die Besatzungen der Festungen. Man muss die Janitscharen von den berittenen Provinzialtruppen
(sipâhî)
unterscheiden, die nach den Feldzügen in ihre Dörfer zurückkehrten und anStelle eines Solds mit einer Militärpfründe (
timar
) entlohnt wurden. Das Korps wurde anfangs aus jugendlichen Kriegsgefangenen, später in christlichen Dörfern, vor allem auf dem Balkan, auf dem Weg der «Knabenlese» rekrutiert. Ihre Bezahlung erfolgte aus dem allgemeinen Staatsschatz und wurde alle drei Monate unter großem Zeremoniell im Serail vorgenommen. Angesichts der großen finanziellen Bürde hielt sich die Regierung bei der Auffüllung von durch Pensionierung vakant gewordenen Plätzen in den Regimentern eher zurück. Die Forderung nach hohen Antrittszahlungen bei der Thronbesteigung eines Sultans führte oft zu krisenhaften Zuspitzungen.
Abb. 5:
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