Istanbul: Ein historischer Stadtführer
langsam den sandbedeckten Weg des Parks hinauf. Am Quai hatte ein großes Dampfboot festgemacht, das aus seinem gelben Schornstein Rauch ausstieß. Dieser Anblick stimmte sehr melancholisch: Das Marmarameer mit seinen Küsten und Hügeln lag unter der Sonne. Ganz in der Ferne der zarte, weiße Bau der Hamidiye-Moschee (beim Yıldız-Palast). Man sah jetzt eine neue Bahre über den Köpfen einer Prozession von ganz in schwarz gekleideten Männern, auf dem Traggestell lag ein weißes Tuch, ein dicker Schal. Auf dem hölzernen Gestell lag Sultan Abdülhamîd leblos in seinem Bett. Der steife, gelb eingefasste Bettüberzug hing über den Rand der Bahre. Darüber war ein wertvoller, fester Stoff mit gelbroten und grünen Stickereien. Bei jedem Windstoß wurde der Stoff angehoben, unter ihm wurden die Umrisse eines zerbrechlichen Körpers und eines kleinen Haupts erkennbar. Vor dem Sarg marschierten die Palastwachen von Beylerbeyi, auf der Seite zwei Reihen Soldaten, die Bahre war von den Agas des kaiserlichen Enderûn umgeben. Die Höflinge gingen mit ruhigen, gemessenen Schritten voran. Sie trugen die Bahre auf ihren Händen. Ihnen folgte Prinz Selîm Efendi, die Schwiegersöhne des Sultans (Damat Paschas) mit einem traurigen und bewegten Ausdruck. Ringsum eine schwer zu beschreibende Stille. Einer der Diener trug einen Fes, der mit einem weißen Tuch bedeckt war …
Der Leichenzug hatte den Tulpengarten passiert und das grün-goldene Tor des Reliquiengebäudes erreicht. Man öffnete die Tür und betrat es mit erhobenen Händen. Die Prinzen und Damat Paschas blieben im Mecidiye-Pavillon, die übrigen Begleiter des Leichnams im Freien. Die Tür wurde wieder geschlossen. Niemand außer den Offiziellen, denen die Reliquien anvertraut waren, durfte eintreten.
Der kleine, nur sechs Ellen lange Sarg lag auf zwei grünen Holzböcken aus Platanenholz, ein kleiner Tisch für die Totenwaschung wurde auf dem Steinboden sichtbar, von dem man die Schilfmatten entfernt hatte. Sultan Abdülhamîd, nackt und tot, wurde auf den Waschungstisch gebettet. Tief beeindruckt stand ich vor den vergoldeten Gittern des
Hâcet penceresi
(dem Fenster für die Fürbitte an Heiligtümern). Vor dem Sarg standen die Würdenträger des Inneren Palastes, sie hatten ihre Hände andächtig ineinandergelegt und warteten (…) Um den Waschungstisch standen die vier Religionslehrer, zwei mit weißen, zwei mit grünen Turbanen, sie wuschen den Leichnam mit gelbenSchwämmen und wohlriechenden Seifen, erfüllt von tiefgläubiger Ehrerbietung. Sultan Abdülhamîd war bis zur Leibesmitte mit einem neuen, weißen Totentuch bedeckt. Seine Brust war frei bis zum Unterkiefer. Sein Körper ließ nicht die Erschöpfung nach einem längeren Siechtum erkennen. Die Farbe war das Gelb des Todes, kein furchteinflößendes Gelb, wie von Elfenbein, wie von einem anorganischen Körper. Sein Körper war unbeträchtlich, Bart und Haar waren ergraut. Die Nase im Verhältnis zum Gesicht verhältnismäßig lang. Die Augen waren geschlossen und in ihren Höhlen eingesunken …
Sultan Abdülhamîd hatte bis zu seinen letzten Minuten das Bewusstsein behalten und das folgende Vermächtnis geschlossen: Auf seine Brust sollte ein Gebetstext gelegt werden, das Tüchlein, mit dem der Prophetenmantel gesäubert wurde, und ein Stück des schwarzen Überzugs der Ka‘ba. Nachdem der Sarg geschlossen wurde, erschien der Oberprediger der Hamidiye-Moschee und blickte in die Runde der vor dem Gebäude Wartenden und stellte die rituelle Frage: «Wie habt ihr den Toten gekannt?» und erhielt zur Antwort «Nur Gutes wissen wir». Nach dem Rezitieren der
Fâtiha
(erste Koransure) bewegte sich ein großer, von den Derwischen der Şâzelî-Bruderschaft angeführter Zug durch das Serail. Im ersten Serailhof fielen zahlreiche deutsche Offiziere auf. Die Straße war gesäumt von Soldaten. Die Straßenbahnen hatten angehalten.
Obwohl sich im Zeremoniell alle Elemente der für jeden Muslim üblichen Bestattung finden, ist es Ahmed Refîk gelungen, die besondere Atmosphäre dieses Vorfrühlingtags einzufangen, an dem wohl allen Anwesenden bewusst war, dass mit Abdülhamîd der letzte «Selbstherrscher» unter den Osmanen zu Grabe getragen wurde. Es war für manche eine bittere Ironie, dass man ihm kein eigenes Mausoleum gönnte, sondern ihn neben Mahmûd II. beisetzte.
Der Perlenkiosk von Murâd III.
Wer an einer Führung durch den Haremtrakt teilgenommen hat, behält den großen Salon von Murâd III.
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