Istanbul: Ein historischer Stadtführer
den niedrigen Bauten der Stadtverwaltung von Kağıdhâne zu erkennen, die den Platz des Schlosses einnehmen.
Abb. 22: Reste des Lustschlosses von Saadâbâd in Kağıdhâne mit Blick auf die Aziziye-Moschee
Zunächst wurde der schon genannte Flusslauf aus seinem alten Becken abgelenkt. Er verläuft jetzt vom Humbarahane 800 Ellen lang, auf beiden Ufern von Marmor eingefasst. Es wurde ein gerader Kanal ausgehoben, breiter als der alte Flusslauf. 30 symmetrische Säulen trugen ein kaiserliches Schloss, vor ihm war ein ausgedehntes Becken. An der Stelle, an der sich das Flusswasser in das Becken ergoss, waren Marmortröge auf dem aus Marmor errichteten (d.h. mit Marmor ausgekleideten) Damm, so dass vor dem kaiserlichen Schloss eine Wasserkunst entstand. Von den Quellen, die nach dem Garten von Kara Ağaç flossen, wurde mittels Röhren und Marmordämmen zur hinteren Seite köstliches Wasser geführt. Außer den innerhalb des kaiserlichen Schlosses befindlichen Springbrunnen trat aus den Mäulern von Drachen (sie erscheinen auch in Nedîms Gedicht weiter unten), welche innerhalb der Becken abgesondert waren, strömendes Wasser hervor. Ebenfalls innerhalb des Beckens waren zwei aus einem einzigen Marmorblock gearbeitete, überlaufende (kleinere) Becken und gegenüber dem kaiserlichen Schloss lief zu beiden Seiten des Flusses Wasser (in kleinen Kanälen) in ein Brunnenhaus. Vom kaiserlichen Schloss bis zu der Stelle, die als Baruthane bekannt ist, entstanden am Flussufer Villen und luxuriöse Häuser mit Blick auf den Fluss in der Art der
Yalı
von Hisar.
Der letzte Satz weist auf die Attraktion für die Oberschicht hin, die sich nun in der Nähe des Hofs so teure Ufervillen leistete, wie man sie nur in Rumelihisar am Bosporus kannte. Zur Eröffnung des Saadâbâd («Haus der Glückseligkeit») genannten Sommerschlosses im August 1722 wurden für Ahmed III. zu beiden Seiten des Flusses «je ein Zelt, das der Himmelssphäre glich», aufgestellt. Weitere waren u.a. für den Großwesir, den Scheichülislam, den Großadmiral und andere hohe Staatsmänner vorgesehen.
An dieser Stelle nennt Râşid auch die Kosten des Unternehmens. Das Schloss mit seiner Inneneinrichtung belief sich auf 115.807 Holländische Reichstaler. Ausländische Edelmetallmünzen waren in diesen Jahrzehnten ganz übliche Zahlungsmittel. Die Türken nannten das holländische Silbergeld wegen seiner Prägung «Löwen-Kurusch». Trotzdem rechnete die Verwaltung weiter mit dem inflationären
Akçe
, von dem damals 144 auf einen holländischen Reichstaler kamen, mehr als das Doppelte des Kurses von 1600! Ein Zimmermann verdiente damals etwa einen halben holländischen Taler (70–89
Kuruş
) am Tag.
Die Verse des Dichters Nedîm (1681?–1730) auf die Freuden von Saadâbâd gehören zu den populärsten aus der osmanischen Literatur. Noch heute können viele, einigermaßen belesene Türken wenigstens den Refrain von der «wandelnden Zypresse»
(Gidelim serv-i revânım yürü Saadâbâd’a)
zitieren, mit der das lyrische Ich seinen Geliebten anspricht.Es folgen drei von insgesamt fünf Strophen in Annemarie Schimmels Verdeutschung:
Laß uns dieses Herz vergnügen, laß es nicht so traurig flehn!
Komm, du wandelnde Zypresse, laß nach Saadabad uns gehn!
Sieh dort an der Landestelle drei Paar Boote wartend stehn –
Komm, du wandelnde Zypresse, laß nach Saadabad uns gehn!
Laß uns lachen, laß uns spielen, laß uns recht die Welt genießen,
Aus der neuerschloss’nen Quelle Wasser trinken, von dem süßen,
Laß uns sehn, wie Lebenswasser aus den Drachenmäulern fließen –
Komm, du wandelnde Zypresse, laß nach Saadabad uns gehn!
Manchmal wollen wir lustwandeln an des Wasserbeckens Rand,
Bald das Gartenschloß bestaunen, welch ein Wunder dort entstand,
Und dann wolln wir Lieder (
şarkı
) singen, Verse (
gazel
) lesen, liebentbrannt –
Komm, du wandelnde Zypresse, laß nach Saadabad uns gehn!
Die Freuden von Saadâbâd endeten in der Revolte des Janitscharen Patrona-Halîl und seiner Anhänger (1730), die sich gegen den ungeheuren Luxus auflehnten, dem sich die Oberschicht in der Zeit Ahmeds III. hingab, während gleichzeitig die Ostgrenze des Reiches durch den Afghanen Nâdir Schah bedroht war. Der Sultan musste seinen langjährigen Wesir opfern und anschließend auf den Thron verzichten. Unter seinem Nachfolger Mahmûd I. wurde anstelle der zunächst angeordneten Verbrennung der geordnete Abbruch der Schlossanlagen befohlen. Das Interesse des Hofs
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