Istanbul: Ein historischer Stadtführer
Heiligen. Der Pascha fiel nach 1908 in Ungnade, 1920 starb er im Schweizer Exil, wurde aber nach Istanbul überführt und in einer der letzten großen Trauerprozessionen der osmanischen Epoche von der Bâyezîd-Moschee nach Kocamustafapaşa geleitet. Danach wurde die Türbe Sünbül Efendis aufwendig restauriert und zum Mausoleum des Generals geöffnet.
Sehr populär sind zwei Objekte im inneren Hof: Die offene Türbe der «Beiden Prinzessinnen» (Çifte Sultanlar) und die danebenstehende «Zypresse mit der Kette» (Zincirli Servi). Erst im 20. Jahrhundert aufgezeichnete Überlieferungen wissen u.a. von zwei Mädchen, die als Enkelinnen des Propheten an den Kampagnen gegen Byzanz teilnahmen. Angebote des byzantinischen Kaisers, sie mit seinen Söhnen zu verheiraten, wiesen sie standhaft zurück. Ihre Gräber blieben bis zur Einnahme Istanbuls verborgen. Erst in den Tagen Cemâl Halvetîs und Sünbül Sinâns wurden sie entdeckt. Ihre auffällige, einem großen Vogelbauer ähnelnde offene Türbe ist mit einem Schriftband eines der bekanntesten Kalligraphen des 19. Jahrhunderts, Yesârî-Zâde Mustafâ İzzet, geschmückt. Auftraggeber dieser Restaurierung von 1813 war Mahmûd II., der hier und an anderen Stellen Gräber von sagenhaften Prophetengenossen wieder herrichtete, um seine Legitimation als islamischer Herrscher zu unterstreichen.
Das Liebesmahl Nûr Babas
Vom bekanntesten Bektaschikloster der Spätzeit an den Hängen des Çamlıca haben sich keine Spuren erhalten, wenn man davon absieht, dass moderne Stadtpläne eine Nûr Baba Sokağı im Stadtteil Kısıklı von Üsküdar kennen. Nûr Babas Tekye verdankt seine posthume Berühmtheit dem gleichnamigen Roman von Yakûb Kadrî («Karaosmanoğlu», 1889–1974), der bei seinem Erscheinen im Jahr 1922 großes Aufsehen erregte. Yakûb Kadrî hat sich die ursprünglich nach einem Tâhir Baba genannte Derwischerie und ihren Scheich Alî Nutkî Baba, Sohn eines Nûrî Baba, zum Vorbild genommen. Sein Roman schildert das Liebesmahl (
cem
) der Insassen der Derwischerie, wobei das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Scheich und seiner Geliebten im Mittelpunkt steht.
Die einst festgefügten Bestandteile dieses Rituals, das die Bektaschis mit den Aleviten teilen, sind zerfallen. Der rituelle Umtrunk ist zumTrinkgelage degeneriert, das Zitieren von Hymnen erfolgt ohne innere Beteiligung. Das folgende Kapitel in der Übersetzung von Annemarie Schimmel trägt die Überschrift «So verlöschen die Kerzen in einem Bektaschi-Kloster». Damit spielt der Autor auf die Verleumdung des Liebesmahls der Bektaschi-Aleviten durch sunnitische Kreise an. Wegen der fehlenden Trennung der Geschlechter denunzierte man sie mit dem Begriff «Kerzenauslöscher», um auf sexuelle Ausschreitungen im Schutz der Dunkelheit anzuspielen.
«Ist kein Raki mehr da? … Ich hab noch Durst! …kein Rakı mehr da?»
«Für den Ordensmeister – gib uns Rakı, gib uns Rakı!»
«Denen zuliebe, die in Kerbela ohne Wasser blieben …»
«Unser Tisch ist trocken wie eine Wüste – ein Tropfen wird das Herz beleben …»
«Falsch; wird das Herzlieb an das Herz fesseln!»
«Das ist doch gleich …, ‹Herz› zu sagen, heißt doch ohnehin ‹Herzlieb› sagen …»
«Du Schlingel du!»
«Ach, ach, ach …!»
«Schenke, wir nehmen unsere Zuflucht zu dir – tu, was du willst, aber komm uns zu Hilfe …»
«Er selber ist ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß …»
«Schön … nun denn, so sage ich dir; Rakı her!»
«Da ist er ja …»
«An die Flasche …»
«Nein! Das kann ich nicht. Ich will anderswohin»
«An meinen Mund …»
«Das möchte ich nicht! Meister …»
«An mein Herz …» «O welche Huld! Gott will mir wohl!»
So redeten in einem alten Derwischkloster auf einem der sieben Hügel Istanbuls gegen Morgen Männer und Frauen, eine trunkene Gruppe Liebender, durcheinander. Die einzige unter ihnen, die ihre Stimme nicht vernehmen ließ, war die Frau des Vorstehers, Bacı Câlile. Sie schien diese Worte sogar mit einem gewissen Zorn zu hören, denn sie war dafür, in allem Maß zu halten. Es waren – mehr noch als die weißen Fäden in ihrem Haar – eine Menge bitterer Lebenserfahrungen, die sie die Richtigkeit dieses Grundsatzes gelehrt hatten. Aber an solchen Tafeln einzusehen, was für üble Folgen derartig lang währende Liebesmahle hatten – dazu braucht man nicht unbedingt schon ergraut zu sein. Diese Folgen wurden in Nûr Babas Kloster sofort spürbar; denn der
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