Istanbul: Ein historischer Stadtführer
im 15. Jahrhundert blühenden Männerbund der Kalenderîye eine griechische Kirche (das «Kalenderhane» am Ostende des Aquädukts) zuwies, beschrieb er sie in der Stiftungsurkunde als «mit dem Schwert der Enthaltsamkeit von dem Pomp der vergnüglichen Welt getrennt und nun gleich Spinnen selbstgenügsam, jeder in seiner Ecke mit frommen Übungen beschäftigt». Noch 1743 gründete ein hochrangiger Ulemâ eine Derwischerie, deren Leitung unverheirateten Scheichen vorbehalten sein sollte. Es handelt sich um das sogenannte Kalenderhâne in Eyüp. Als sein Leiter, der aus dem mittelasiatischen Kaschgar stammende Abdullâh, den Wunsch verspürte zu heiraten, ließ er sich durch einen hochgestellten Amtsträger eine neue
Tekye
bauen, diesmal ohne die einengenden Stiftungsbedingungen. Man stößt auf Abdullâh Kaşgarîs Türbe auf dem Weg von Eyüp durch die Friedhöfe hinauf zum Café des Pierre Loti.
Aus den gewöhnlichen
Tekyes
ragten die «Mutterhäuser» einiger großer Bruderschaften hervor. Berühmte Beispiele solcher
Âsitânes
(eigentlich «Schwelle, Pforte») sind das noch erhaltene Kâdirîhâne im StadtteilTophâne und das Nûreddîn-i Cerrâhî Tekyesi in Karagümrük. Letzteres dient heute einer «Stiftung für das Studium der mystischen Musik und Folklore».
Abb. 23: Kaşgarî Tekyesi oberhalb von Eyüp
Zehntausende von Muslimen standen einer oder auch mehreren Bruderschaften als «Liebhaber» nahe. Die wichtigsten Bruderschaften waren in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten, wenn man die Zahl ihrer Mitglieder zugrunde legt, die Nakşbendîs, denen die Mevlevîs, Sünbülüs und Kadirîs folgten. Aussagen über die heterodoxen Bektaşîs zu machen, ist problematisch, denn sie wurden nach 1826 wegen ihrer engen Verbindung zu den Janitscharen vorübergehend in die Illegalität gedrängt. Einer ihrer Sitze war das aus dem späten 19. Jahrhundert stammende, auch baulich sehr interessante Şahkulu Sultan Dergâhı Tekyesi von Merdivenköy (zwischen dem Berg Çamlıca und Göztepe).
Heute dient es der alewitischen Glaubensgemeinschaft als Versammlungsgebäude. Einige, in der osmanischen Welt sonst kaum vertretene Bruderschaften wie die nordafrikanische Şazilîye wurden unter Sultan Abdülhamîd II. gefördert. Daraus erklärt sich das sehr bemerkenswerte von d’Aronco gebaute
Art Nouveau
-Mausoleum für Şeyh Zâfir aus Tripoli am unteren Ende des Barbaros Bulvarı in Beşiktaş.
Abb. 24: Bektaşî-Konvent in Merdivenköy (Üsküdar)
Für ausländische Reisende gehörte in den vergangenen Jahrhunderten ein Besuch bei den «Tanzenden Derwischen» von Galata zum Pflichtprogramm. Zum Glück ist dieser Mevlevî-Konvent mit der Türbe des Dichters Şeyh Gâlib (1757–1799) und einem Friedhof als «Museum für klassische Literatur» (Divan Edebiyatı Müzesi) erhalten geblieben. Vom größten und wichtigsten Mevlevîhâne sind hingegen nur wenige Spuren übrig. Das vor den Landmauern liegende Yeni Kapı Mevlevîhânesi war, nach der Zentrale der Bruderschaft in Konya, die Niederlassung mit den meisten Insassen.
Die Kostüme der Derwische
Die meisten Osmanen waren in der Lage, Derwische auf Grund ihrer Kostüme einzelnen Bruderschaften zuzuordnen. Allen Angriffen zum Trotz wurden die Bestandteile des Derwischkostüms über die Jahrhunderte immer reicher, vielfarbiger und vielfältiger. Das war einerseits die natürliche Folge der immer feineren Verästelungen der Bruderschaften in Zweige und Unterzweige. Selbstverständlich waren die Kopfbedeckung (
tâc
) und die Kutte (
hırka
) die wichtigsten Attribute eines Derwisch. Sie waren jedoch nicht nur äußerliche Zeichen für die Zugehörigkeit zu einer Bruderschaft. In den Quellen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass das Tragen des vom Scheich verliehenen
tâc
so wichtig war wie das regelmäßige Verrichten der Litaneigebete.
Tâc
-Träger nahmen im Laufe der osmanischen Epoche so stark zu, dass der Dichter Lâmi’î, ein Zeitgenosse Süleymâns I., klagte.
So viele
tâc
-Träger sind auf die Erde gefallen, dass aus dem Boden
Sikke
und
Külâh
wie Tulpen und Rosen wachsen.
In Istanbul kann man heute die Kopfbedeckungen der Derwische auf den meisten alten Friedhöfen studieren. Es gibt zahlreiche Grabsteine, die nach Einführung des Fes in den 1820er Jahren Derwischattribute im Relief zeigen, während diese neue «blumentopfförmige» Kopfbedeckung auf dem Grabstein sitzt. An einigen Stellen sind aber auch die hochseltenen Originale zu betrachten
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