Istanbul: Ein historischer Stadtführer
junge und sinnliche Ordensmeister war nicht mehr dazu fähig, so wie andere Klostervorsteher die durch Hymnen, Flötenspiel, Lieder undReden angespannten Nerven zu zügeln; und die Tische, an denen er präsidierte, waren meist dazu verurteilt, am Ende entweder mit einem Fußtritt umgestoßen zu werden oder durch einen überaus geräuschvollen Kuß in Verwirrung zu geraten. Deswegen nun verspürte Câlile Bacı, die in einem durch die Zügellosigkeit der Versammlung hervorgerufenen grollenden Zorn bisher stumm geblieben war, die Notwendigkeit, alle barsch zum Schweigen aufzufordern. «Kinder!» sagte sie, «bei Gott, ihr wißt nicht mehr, was ihr redet und was ihr tut! So viel Rakı-Rausch reicht! Jetzt haben wir acht Stunden lang getrunken. Jeden Augenblick kann die Morgendämmerung durchkommen. Seht, die Scheiben beginnen schon heller zu werden!» Und zum Scheich gewandt, der mit seiner Geliebten Zîbâ in eine hitzige Diskussion vertieft war, sagte sie:
«Meister, befehlt Ihr, daß noch ein Bissen zurechtgemacht werden soll?»
Nûr Baba antwortete mit einem halb zornigen, halb trunkenen Lächeln:
«Nein, Câlile! Du siehst doch, wir haben mit Zîbâ unser Hühnchen noch nicht ganz rupfen können. Wenn jemand will …»
Die letzten Worte des Scheichs gingen in einem neuen Strudel von Verlangen und Widerspruch unter. Jeder wollte, das Liebesmahl solle weitergehen …
XVI.
Der Bosporus
Die osmanischen Türken hatten die Meerengen zwischen Asien und Europa schon lange vor der Einnahme Konstantinopels überschritten. Mit der Errichtung von Anadolu Hisarı bzw. der «Weißen Festung» (Akçe Hisar) durch Bâyezîd I. um das Jahr 1394 begann die Einschließung der Stadt. Dieser immer noch eindrucksvolle spätmittelalterliche Donjon mit seinen vier Halbrundtürmen wurde unter Mehmed II. mit Bastionen bis zum Ufer erweitert. Gegenüber entstand 1452 Rumeli Hisarı. Die Geschütze beider Festungen waren in der Lage, jeden feindlichen Schiffsverkehr zu unterbinden.
«Ich brauche eine Burg»
Von dem Bau von Rumeli Hisarı unter Mehmed II. gibt der Chronist Aşıkpaşa-Zâde, ein Zeitgenosse, einen lapidaren Bericht:
Er wollte bei Gelibolu nach Rumelien übersetzen, aber man sagte ihm: «Mein glorreicher Sultan, es sind Schiffe der Gottesleugner gekommen und haben die Meerenge bei Gelibolu (die Dardanellen) gesperrt.» Sie nahmen also den Herrscher und führten ihn nach Kocaeli (ins Hinterland von İzmit). Oberhalb von Istanbul lagerten sie an der Meerenge bei Akçe Hisar und dort, wo auch sein Vater übergesetzt war, ging er nach Rumelien hinüber und lagerte sich gegenüber von Akçe Hisar. Er sprach zu Halîl Pascha (seinem Großwesir): «Lala (d. i. Fürstenerzieher), hier brauche ich eine Burg!» Kurz, er gab an Ort und Stelle den entsprechenden Befehl, ließ die Burg erbauen, und sie wurde vollendet. Dann sandte er den Akçaylı Mehmed Beg ab mit dem Auftrag: «Los, ziehe hin und schließe Istanbul ein!»
Rumeli Hisarı liegt dort, wo der Bosporus seine engste Stelle (698 m) hat und die Geschwindigkeit des Wassers beim «Teufelsstrom» (Şeytan Akıntısı) entsprechend stark ist. In osmanischen Quellen heißt die Festung auch Boğazkesen (doppelsinnig «Halsabschneider», weil
Boğaz
«Kehle» der türkische Name für den Bosporus ist). Hier standen zwei byzantinische Türme, die Sultan Mehmed II. schon 1452 besetzt hatte. Innerhalb von drei Monaten entstand Rumeli Hisarı. Die Ausführung wurde durch die Aufteilung der Bauleitung auf die drei Kommandanten Saruca, Halîl und Zağanos beschleunigt. Die Hauptfestung wurde durch einen Außenhof ergänzt. Er reichte bis zum Wasser und war mit Kanonen bestückt, die 600 Pfund schwere Kugeln durch ihre Scharten verschießen konnten. In Rumeli Hisarı befindet sich die älteste osmanische Inschriftder Stadt. Das Dorf bei der Festung war schon zu Evliyâs Zeiten ein beliebter Sommerkurort für die Istanbuler Oberschicht. Anders als in den meisten Bosporusdörfern überwog hier die muslimische Bevölkerung.
Abb. 25: Festung Anadolu Hisarı am asiatischen Ufer des Bosporus
Plan 13: Rumelihisar
An beiden Ufern des rund 30 km langen Meeresarms entstanden bald nach der Einnahme der Stadt zwischen den bescheidenen griechischen Fischerdörfern Uferpaläste. Im Türkischen bezeichnet man die «Lusthäuser am Meeresstrande» (so formuliert ein älteres Lexikon) mit dem aus dem Griechischen kommenden Wort
yalı
(von
gialós
«Ufer, Küste»).
Die osmanischen Buchmaler (von
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