Italienische Märchen
fortzutragen und ihr Geschäft zu Haus zu verrichten, was sie auch taten.
Als so dieses schreckliche Schauspiel vermieden war, trat Alektryo vor Gockel und verlangte, daß er ihm nun mit dem Grafenschwert den Kopf abschlagen, sich den Zauberstein aus seinem Kröpfe nehmen und ihn sodann mit den Gebeinen der Gallina und ihrer Jungen verbrennen sollte. Gockel weigerte sich lange, dem Begehren des Alektryo zu folgen; aber da er sich auf keine Weise wollte abweisen lassen und ihn versicherte, daß er sich doch in jedem Falle zu Tode hungern werde, so willigte Gockel ein. Er umarmte den edlen Alektryo nochmals von ganzem Herzen. Dann streckte der ritterliche Hahn den Hals weit aus und krähte zum letztenmal mit lauter Stimme, und unterdem schwang Gockel das Grafenschwert und hieb den Hals des Alektryo mittendurch, so daß der Edelstein ihm vor die Füße fiel und der tote Hahn daneben.
Alle Anwesenden weinten bitterlich; man legte den guten Hahn auf die Gebeine der Gallina, und alle Vögel brachten dürre Reiser und legten sie drum her. Da steckte Gockel die Reiser an und verbrannte alles zu Asche; aus den Flammen aber sah man die Gestalt eines Hahns wie ein goldnes Wölkchen durch die Luft davonschweben. Nun begrub Gockel die Asche und deckte den Stein mit der Schrift wieder mit Erde zu und hielt dann eine schöne Rede über die Verdienste und die großmütige Seele des verstorbenen Alektryo und des edlen Hahnengeschlechts überhaupt; unter anderm aber sprach er:
»Wer giebt die Weisheit ins verborgne Herz des Menschen? Wer giebt dem Hahnen Verstand? Gleichwie der Hahn den Tag verkündet und den Menschen vom Schlaf erweckt, so verkünden fromme Lehrer das Licht der Wahrheit in die Nacht der Welt und sprechen: Die Nacht ist vergangen, der Tag ist gekommen, lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts! O wie lieblich und nützlich ist das Krähen des Hahnes! Dieser treue Hausgenosse erwecket den Schlafenden, ermahnet den Sorgenden, tröstet den Wanderer, meldet die Stunde der Nacht und verscheucht den Dieb und erfreuet den Schiffer auf einsamem Meere, denn er verkündet den Morgen, da die Stürme sich legen. Die Andächtigen wecket er zum Gebet, und den Gelehrten rufet er, seine Bücher bei Licht zu suchen. Den Sünder ermahnet er zur Reue, wie Petrum. Sein Geschrei ermutiget das Herz des Kranken. Dreierlei haben einen feinen Gang, und das Vierte geht wohl, der Löwe, mächtig unter den Tieren, er fürchtet niemand – ein Hahn mit kraftgegürteten Lenden, ein Widder und ein König, gegen den sich keiner erheben darf – aber dennoch fürchtet der Löwe, der niemanden fürchtet, den Hahn und fliehet vor seinem Anblick und Geschrei; denn der Feind, der umhergeht wie ein brüllender Löwe und suchet, wie er uns verschlinge, fliehet vor dem Rufe des Wächters, der das Gewissen erwecket, auf daß wir uns rüsten zum Kampf. Darum auch ward kein Tier so erhöhet; die weisesten Männer setzen sein goldenes Bild hoch auf die Spitzen der Türme über das Kreuz, daß bei dem Wächter wohne der Warner und Wächter. So auch steht des Hahnen Bild auf dem Deckel des Abc-Buches, die Schüler zu mahnen, daß sie früh aufstehen sollen, zu lernen. O wie löblich ist das Beispiel des Hahnen! Ehe er kräht, die Menschen vom Schlafe zu wecken, schlägt er sich selbst ermunternd mit den Flügeln in die Seite, anzeigend, wie ein Lehrer der Wahrheit sich selbst der Tugend bestreben soll, ehe er sie anderen lehret. Stolz ist der Hahn, der Sterne kundig, und richtet oft seine Blicke zum Himmel; sein Schrei ist prophetisch, er kündet das Wetter und die Zeit. Ein Vogel der Wachsamkeit, ein Kämpfer, ein Sieger, wird er von den Kriegsleuten auf den Rüstwagen gesetzt, daß sie sich zurufen und ablösen zu gemessener Zeit. So es dämmert und der Hahn mit den Hühnern zu ruhen sich auf die Stange setzt, stellen sie die Nachtwache aus. Drei Stunden vor Mitternacht regt sich der Hahn, und die Wache wird gewechselt; um die Mitternacht beginnt er zu krähen, sie stellen die dritte Wache aus, und drei Stunden gen Morgen rufet sein tagverkündender Schrei die vierte Wache auf ihre Stelle. Ein Ritter ist der Hahn, sein Haupt ist geziert mit Busch und roter Helmdecke, und ein purpurnes Ordensband schimmert an seinem Halse; stark ist seine Brust wie ein Harnisch im Streit, und sein Fuß ist bespornt. Keine Kränkung seiner Damen duldet er, kämpft gegen den eindringenden Fremdling auf Tod und Leben, und selbst blutend
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