Italienische Märchen
Nacht
Mit Gottes Lob vereint durchwacht,
Drum drücke zu der ewgen Ruh
Ich ihm die lieben Augen zu.
O Klausner! lieber Klausner mein!
Grab deine Grube nicht zu klein,
Laß Platz für die Frau Nachtigall
Und ihres Leidenliedes Schall.
Da der Klausner und ich diese rührenden Worte der lieben Nachtigall hörten, flossen uns die Tränen stromweis herab; das Grab war fertig, der Einsiedler stieg hinein, und ich sprang ihm nach und drückte ihn heftig an mein Herz. ›Ach!‹ rief ich aus, ›lieber Herr und Meister! ich lasse dich nicht, ich halte dich fest in meinen Armen! nein, nein, du mußt bei mir bleibend.‹ Der Klausner aber drückte mich von sich und sprach:
Troll, Trilltrall! aus dem Grabe
Dich, nimm mir nicht den Raum,
Den ich drin nötig habe
Für mich und meinen Traum.
Ich sehne mich nach Stille,
Der grelle Vogelschrei,
Das grause Tiritille,
Das bunte Dudeldei
Macht mir so angst und bange,
Macht mir den Kopf ganz dumm,
Ich hört es gar zu lange;
Geh raus, ich bitt dich drum.
Da stieg ich aus dem Grabe heraus und sprach:
Ach, lieber Meister! saget,
Warum auf einmal so?
Ihr seid gar hochbetaget,
Doch wart Ihr frisch und froh.
Da sprach er sehr ernsthaft zu mir und mit einem Eifer, den ich nie an ihm früher bemerkt hatte, woraus ich sah, daß er ein starkes Fieber hatte:
Ich schnupfte aus der Dose
Der guten Pimperlein,
Da ward mir sehr kuriose
In dem Gehirne mein.
Da sagte ich zu dem guten Klausner:
Ach, Meister hocherfahren!
Du hast dich nicht geschont,
Du bist seit langen Jahren
Das Schnupfen nicht gewohnt.
Der Klausner antwortete mir hierauf strafend:
So spricht allein der Schwache,
Allein der Feige gern
Und hält von ernster Sache
Sich so entschuldgend fern.
Manch Kind will sich nicht waschen
Und nennt das Wasser kalt,
Doch giebts etwas zu naschen,
Da kömmt ein jedes bald.
Arznei wills Kind nicht nehmen,
Schiebt immer auf die Stund
Und steckt doch ohne Schämen
Den Zucker in den Mund.
Doch endlich bringt die Stunde
Den sauern Apfel heiß,
Ist auch kein Zahn im Munde,
So heißt es doch: Nun beiß!
Mein Stündlein ist gekommen
Mit Prinzeß Pimperlein,
Tabak hab ich genommen,
Der ging durch Mark und Bein.
Ich mußt gleich einem Riesen
Mit prasselnder Gewalt
So ganz entsetzlich niesen:
Der Fels kriegt einen Spalt.
Das Echo brach in Stücke,
Der wilde Wasserfall
Fuhr in sich selbst zurücke
Von meiner Nase Schall.
Es fuhren in die Wurzeln
Die Eichen tiefer ein,
Und aus den Lüften purzeln
Sah ich die Vögelein.
Da fing ich an zu hören,
Da fing ich an zu sehn,
Daß wir gar vieles lehren
Und wenig doch verstehn.
Die ganze Vogelsprache
Nebst der Grammatika
In meinem Tränenbache
Ich da ersaufen sah.
Wie Butter an der Sonnen
In lauter Ach und Weh
Ist mir allda zerronnen,
Das Vogel-ABC.
Am Himmel sah ich brennen
Buchstaben lichterloh,
Da könnt ich wohl erkennen
Ein großes A und O.
Und nun will ich mich strecken,
Wie mancher andre lag,
Kein Vogel wird mich wecken
Bis an den Jüngsten Tag.
Da legte sich der Einsiedler der Länge lang in das Grab; der Abend war herangekommen; die Vöglein sammelten sich rings in den Bäumen; aber sie zwitscherten nicht wie gewöhnlich fröhlich durcheinander, sie waren ganz still und guckten traurig auf den Klausner herab in das Grab. Da fing er nach seiner Gewohnheit an, das Abendlied zu singen: ›Nun ruhen alle Wälder‹ – und die Vöglein sangen alle gar lieblich mit, worüber er einzuschlafen schien. Ich kniete neben ihm und weinte, und als die Vögel alle verstummt waren, kam die Nachtigall auf die Brust des Klausners geflogen; sie rupfte sich mit dem Schnabel ein Flaumfederchen aus und legte es ihm auf den Mund, und weil das Federchen sich gar nicht bewegte, hörte ich sie sagen: ›Ach! er atmet nicht mehr, das Federchen regt sich nicht von seinem Atem; ach! der gute Klausner ist tot!‹ Da flog sie auf einen Zweig gerade über das Grab des Klausners und fing so traurig an zu singen und immer heftiger und kläglicher, bis ihr nach einem tiefen Seufzer ihr treues Herzchen zersprang und sie zu dem Klausner tot herunter in das Grab fiel.
Am andern Morgen streuten die Vöglein Kräuter und Blumen auf ihn, und ich bedeckte ihn mit Erde; aber seinen langen weißen Bart ließ ich aus der Erde heraushängen, denn der Wind bat mich gar sehr darum, weil seine Kinder, die kleinen Sommerlüftchen, gar gern mit diesem Bart spielten; auch wollte sich die Grasmücke ein Nestchen hineinbauen. Als ich
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