Italienische Märchen
tröstete sie mit Himbeeren, welche neben der Stelle wuchsen, wo sie gefallen war.
Nach einiger Zeit fragte Gackeleia wieder: »Liebe Mutter, giebt es denn auch da, wo wir hingehen, so schöne gebackne Männer von Kuchenteig mit Augen von Wachholderbeer und einer Nase von Mandelkern und einem Mund von einer Rosine?« Da konnte die Mutter die Tränen nicht zurückhalten und weinte; Gockel aber sagte: »Nein, mein Kind Gackeleia, solche Kuchenmänner giebt es da nicht, die sind auch gar nicht gesund und verderben den Magen; aber es giebt da schöne bunte Vögel die Menge, welche allerliebst singen und Nestchen bauen und Eier legen und ihre Jungen füttern. Die kannst du sehen und lieben und ihnen zuschauen und die süßen wilden Kirschen mit ihnen teilen.« Da brach er ihr ein Zweiglein voll Kirschen von einem Baum, und das Kind ward ruhig.
Als Gackeleia aber nach einer Weile wieder fragte: »Liebe Mutter, giebt es dann dort, wo wir hingehen, auch so wunderschöne Pfefferkuchen wie in Gelnhausen?« und die Frau Hinkel immer mehr weinte, ward der alte Gockel von Hanau unwillig, drehte sich um, stellte sich breit hin und sprach: »O mein Hinkel von Hennegau, du hast wohl Ursache zu weinen, daß unser Kind Gackeleia ein so naschhafter Freßsack ist und an nichts als an Brezeln, Kuchenhasen, Buttermänner und Pfefferkuchen denkt! Was soll daraus werden? Not bricht Eisen, Hunger lehrt beißen. Sei vernünftig, weine nicht, Gott, der die Raben füttert, welche nicht säen, wird einen Gockel nicht verderben lassen, der säen kann; Gott, der die Lilien erhält, die nicht spinnen, wird die Frau Hinkel von Hennegau nicht umkommen lassen, welche sehr schön spinnen kann, und auch das Kind Gackeleia nicht, wenn es das Spinnen von seiner Mutter lernt.« Diese Rede Gockels ward von einem gewaltigen Geklapper unterbrochen, und sie sahen einen großen Klapperstorch, der aus dem Gebüsche ihnen entgegentrat, sie sehr ernsthaft und ehrbar anschaute, nochmals klapperte und dann hinwegflog. »Wohlan«, sagte Gockel, »dieser Hausfreund hat uns willkommen geheißen; er wohnt auf dem obersten Giebel meines Schlosses, gleich werden wir da sein; damit wir aber nicht lange zu wählen brauchen, in welchem von den weitläufigen Gemächern des Schlosses wir wohnen wollen, so will ich unsre höchste Dienerschaft voraussenden, damit sie uns die Wohnungen aussuchen.«
Nun nahm er den großen Stammhahn von der Schulter auf die rechte Hand und die Stammhenne auf die linke und redete sie mit ehrbarem Ernste folgendermaßen an: »Alektryo und Gallina! Ihr stehet im Begriff wie wir, in das Stammhaus eurer Voreltern einzuziehen, und ich sehe es an euern ernsthaften Mienen, daß ihr so gerührt seid als wir. Damit nun dieses Ereignis nicht ohne Feierlichkeit sei, so ernenne ich dich, Alektryo, edler Stammhahn, zu meinem Schloßhauptmann, Haushofmeister, Hofmarschall, Astronomen, Propheten, Nachtwächter und hoffe, du wirst unbeschadet deiner eignen Familienverhältnisse als Gatte und Vater diesen Ämtern gut vorstehn. Das nämliche erwarte ich von dir, Gallina, edles Stammhuhn. Indem ich dich hiermit zur Schlüsseldame und Oberbettmeisterin des Schlosses ernenne, zweifle ich nicht, daß du diesen Ämtern trefflich vorstehen wirst, ohne deswegen deine Pflichten als Gattin und Mutter zu vernachlässigen. Ist dies euer Wille, so bestätigt mir es feierlich!«
Da erhob Alektryo seinen Hals, blickte gen Himmel, riß den Schnabel weit auf und krähete feierlichst, und auch Gallina legte ihre Versicherung mit einem lauten, aber rührenden Gegacke von sich; worauf sie Gockel beide an die Erde setzte und sprach: »Nun, Herr Schloßhauptmann und Frau Schlüsseldame, eilet voraus, suchet eine Wohnung für uns aus und empfangt uns bei unserm Eintritt!« Da eilte der Hahn und die Henne, in vollem Laufe, was giebst du, was hast du, in den Wald hinein, nach dem Schlosse zu. Nun ermahnte Gockel auch noch die Frau Hinkel und das Kind Gackeleia zur Zufriedenheit, zum Vertrauen auf Gott und zu Fleiß und Ordnung in dem neu bevorstehenden Aufenthalt auf eine so liebreiche Art, daß Frau Hinkel und das Kind Gackeleia den guten Vater herzlich umarmten und ihm alles Gutes und Liebes versprachen.
Nun zogen sie alle froh und heiter durch den schönen Wald, die Sonne sank hinter die Bäume, es ward so recht stille und vertraulich, ein kühles Lüftlein spielte mit den Blättern, und Frau Hinkel von Hennegau sang folgendes Liedchen mit freundlicher Stimme, wozu Gockel und
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