Italienische Novellen, Band 1
bekommen. Und er lebte um so zufriedener und glücklicher, da er täglich wiederholt das kostbare Büchschen hervorzog, worin das Bild der Frau sich befand, das er immer so schön und so wohlgefärbt sah, wie wenn es eben jetzt erst gemalt worden wäre.
Am Hofe ging das Gerücht, Ulrich habe in der Heimat die schönste und anmutigste junge Frau von Böhmen und Ungarn zur Ehe. Als nun einmal viele Hofleute in Gesellschaft beisammen waren, worunter auch unser Ritter, sagte ein ungarischer Baron zu ihm: »Wie kann das sein, Herr Ulrich, daß Ihr nunmehr etwa anderthalb Jahre von Böhmen weg seid, ohne je nach Hause zu gehen und nach Eurer Frau zu sehen, die, wie man allgemein versichert, so schön ist? Offenbar hegt sie Euch nicht sehr am Herzen.«
»Ei freilich liegt sie mir am Herzen«, antwortete Ulrich, »und ich liebe sie wie mein Leben; vielmehr ist das, daß ich sie so lange Zeit nicht besucht habe, kein kleiner Beweis für ihre Tugend und meine Treue; für ihre Tugend, insofern sie damit zufrieden ist, daß ich meinem König diene und es ihr genügt, wenn wir häufig voneinander Nachricht haben, da es uns allerdings nicht an Gelegenheiten fehlt, uns briefliche Besuche abzustatten. Meine Treue sodann und die Verpflichtung, die ich gegen den König, unsern Herrn, zu haben bekenne, von dem ich so viele und große Wohltaten empfangen habe, und die fortwährende Kriegsunruhe von den Feinden Christi an der Grenze sind bei mir viel kräftiger als die Liebe zum Weibe; und meine Pflicht gegen den König muß über die eheliche Liebe um so mehr die Oberhand behaupten, als ich weiß, daß ich der Treue und Beständigkeit meiner Gattin sicher sein kann, da sie nicht allein schön, sondern auch sittsam, wohlerzogen und sehr auf ihre Ehre bedacht ist und mich mehr als alles auf der Welt wert hält und wie ihre Augen liebt.«
»Das ist ein großes Wort«, versetzte der ungarische Baron, »daß Ihr behauptet, der Treue und Keuschheit Eurer Gattin sicher zu sein, die ganz gewiß selber nicht darauf schwören würde. Denn ein Weib, das heute noch gegen alle Bitten und Geschenke der ganzen Welt unempfindlich erscheint, wird sich morgen schon von einem einzigen Blicke eines Jünglings, einem einfachen Worte, einer heißen Träne und kurzer Bitte erweichen und dem Liebhaber ganz und unbeschränkt in die Gewalt geben. Und wer ist oder war jemals, der diese Sicherheit haben kann? Wer kennt die Heimlichkeiten der Herzen, die undurchdringlich sind? Ich glaube, gewiß niemand, außer unser Herrgott. Das Weib ist von Natur veränderlich und unbeständig und das ehrgeizigste Geschöpf unter der Sonne. Wo um des Himmels willen ist das Weib, das nicht wünscht und verlangt, geschmeichelt, begehrt, umworben, verehrt und geliebt zu werden? Und gar oft geschieht es, daß die, so für die schlausten gelten und mit falschen Blicken verschiedene Liebhaber abzuspeisen vermeinen, gerade am ehesten und unvermerkt ihren Kopf in die Schlingen der Liebe bringen und sich so darein verwickeln, daß sie, wie Vögel, die an der Leimrute gefangen sind, sich nicht mehr losmachen können. Darum, Herr Ulrich, sehe ich nicht ein, wie Eure Frau mehr als andere, die von Fleisch und Bein sind, vom Himmel ein Vorrecht erhalten haben soll, daß sie nicht bestochen werden kann.«
»Meinetwegen«, antwortete der böhmische Ritter. »Ich will ja glauben, daß es so ist, und mich überreden, daß Ihr recht habt; jeder kennt das Seine, und der Narr weiß besser, was er hat, als seine Nachbarn, so weise diese auch sind. Glaubet, was Euch gutdünkt! Ich verbiete es Euch nicht; aber laßt mich auch glauben, was mir angenehm ist und mir ansteht! Mein Glaube kann Euch ja nicht schaden, und Eure abweichende Ansicht bringt mir keinen Nachteil, da es ja jedem freisteht in ähnlichen Begegnissen, zu glauben, was ihm am meisten gefällt.«
Es waren noch viele andere Herren und Edelleute vom Hofe bei diesem Gespräche zugegen, und (wie wir das manchmal sehen) der eine sagte dies, der andere jenes. Es stellten sich daher gar verschiedene Meinungen über diese Angelegenheit heraus. Denn die Menschen sind nicht alle von gleicher Gemütsverfassung, und viele machen sich glauben, mehr zu wissen als ihre Nebenmenschen, und sind auf ihre Hirngespinste so versessen, daß sie der Vernunft gar kein Gehör geben, als bestände eine vernünftige Unterhaltung in Lärm und Geschrei. Die ganze Sache wurde nun der Königin gemeldet. Diese war eine Frau, welche Hader und Zwietracht bei Hofe
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