Italienische Novellen, Band 1
und die Muhme, »schicke dich ins Leben, da es Gottes Wille ist! Es wird noch alles gut werden.« Die Mutter suchte die Freude, die sie empfand, zu verbergen, öffnete ein wenig die Tür des Gemachs und ließ Herrn Lionato rufen, der sogleich herbeikam. Ob er sich freute, die Tochter ins Leben zurückgekehrt zu sehen, ist keine Frage. Sie trafen nun mancherlei Verabredungen, und Messer Lionato bestimmte zuerst, daß niemand von diesem Ereignisse etwas erfahren dürfe, da er beschlossen hatte, die Tochter aus Messina weg auf das Landgut seines Bruders zu schicken, dessen Gattin hier anwesend war. Hierauf suchte er das Kind durch kräftige Speisen und köstliche Weine zu erquicken, durch deren Genuß sie ihre frühere Stärke und Schönheit wieder erlangte; dann ließ er seinen Bruder rufen und unterrichtete ihn ausführlich von seinem Vorhaben. Die Verabredung, die sie trafen, war folgende: Messer Girolamo (so hieß der Bruder des Messer Lionato) führte in der folgenden Nacht Fenicia in sein Haus und hielt sie hier in Gesellschaft seiner Gattin auf das strengste verborgen. Auf dem Landgute wurde sodann alles bereitet, was zu ihrem Empfange nötig war, und eines Morgens in der Frühe schickte er seine Frau mit Fenicia und einer seiner Töchter und einer Schwester Fenicias, die dreizehn bis vierzehn Jahre alt war, voraus. Fenicia war sechzehnjährig. Dies geschah, damit Fenicia, wenn sie größer würde und, wie es mit der Zeit geschieht, auch die Gesichtsbildung veränderte, in zwei bis drei Jahren unter einem andern Namen verheiratet werden könnte. An dem Tage nach jenem Vorfalle, als das Gerücht von Fenicias Tode sich durch ganz Messina verbreitet hatte, ließ Messer Lionato ihr standesgemäß Exequien halten und einen Sarg bereiten, in dem er, ohne daß es jemand bemerkte (denn die Mutter Fenicias schien es nicht zugeben zu wollen, daß sich ein Dritter damit beschwere), ich weiß selbst nicht was einhüllte; sodann wurde der Sarg verschlossen, vernagelt und verpicht, so daß jeder des festen Glaubens war, daß Fenicias Leiche sich darin befinde. Am Abend aber begleitete Messer Lionato, mit allen seinen Verwandten, in schwarzer Kleidung den Sarg zur Kirche, und Vater und Mutter bezeugten ein so übermäßiges Leidwesen, als ob sie wirklich ihre Tochter zu Grabe gebracht hätten. Der Vorfall erregte allgemeines Mitleid, da die Ursache des Todes bald ruchbar wurde, und so hielten alle Messiner dafür, daß der Ritter jene Fabel erdichtet habe. Der Sarg wurde daher beigesetzt unter allgemeinem Bedauern der ganzen Stadt; über dem Sarg wurde ein Einsatz von Steinen gemacht und darauf das Wappen der Lionati gemalt. Messer Lionato ließ darauf folgende Inschrift setzen:
Fenicia hieß mein Nam'; unwürdig ward
Als Braut ich einem Rohen überwiesen,
Den die Verbindung mußte bald verdrießen:
Drum zieh er eines Fehls mich schwer und hart.
Als Jungfrau war ich rein und keusch bewahrt
Und sah unbillig mich in Kot gerissen:
Eh'r starb ich, als daß mich die Leute wiesen
Mit Fingern, ach, nach feiler Dirnen Art.
Kein Eisen brauchte ich zu meinem Tod:
Der herbe Schmerz war kräft'ger als der Stahl,
Als ich vernahm den unverdienten Spott.
Im Sterben noch fleht' ich, daß doch einmal
Der Welt den Trug enthüllen möge Gott,
Da meine Treu' mißachtet der Gemahl.
Als die tränenreiche Leichenfeier beendigt war, sprach man allenthalben über die Ursache von Fenicias Tod; man erschöpfte den Gegenstand von allen Seiten, aber insgemein stimmte man darin überein, daß man dem kläglichen Tode Mitleid zollte, da die Beschuldigung für erdichtet gehalten wurde. Herr Timbreo fing an, in den bittersten Schmerz zu versinken und eine gewisse Beklemmung des Herzens zu fühlen, die ihn selbst so sehr befremdete, daß er nicht wußte, was er denken sollte. Dennoch meinte er keinen Tadel zu verdienen, da er einen Menschen die Leiter habe besteigen und ins Haus schlüpfen sehen. Aber bei besonnenerem Nachdenken über das Gesehene und da sein Unwille sich etwas abgekühlt und die Vernunft ihm die Augen geöffnet hätte, mußte er sich sagen, daß jener vielleicht auch um einer andern Frau willen, oder um zu rauben, dort eingestiegen sein könne. Auch fiel ihm ein, daß Messer Lionatos Haus sehr groß und jener Flügel, wo der Unbekannte eingestiegen, unbewohnt sei, daß überdies Fenicia, die mit ihren Schwestern hinter dem Gemach ihres Vaters und dem ihrer Mutter schlief, in jenen Flügel nicht kommen konnte, ohne durch das
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