Italienische Novellen, Band 1
helfen.«
Darüber erwies ihm der Doge große Ehre und sagte unter vielem andern: »Lieber Meister, ich bitte Euch, beginnt nur Eure Arbeit so bald als möglich! Ich will auch zusehen.« Der Meister sagte: »Gnädiger Herr, das soll geschehen!« Und sogleich ordnete er die Arbeit an, und durch großen Fleiß richtete er in kurzer Zeit den Turm dergestalt wieder her, daß er schöner war als zuvor. Das machte nun dem Dogen große Freude, und man gab dem Meister das Geld, das er verlangte; er machte ihn zum Bürger von Venedig und verlieh ihm ein reiches Einkommen. Ferner sagte er zu ihm: »Nun sollt Ihr mir einen Palast bauen, der eine Kammer enthalte, in die der ganze Schatz und alles Vermögen der Gemeinde von Venedig niedergelegt werden kann.«
Der Baumeister traf sogleich alle Anstalten, um den besagten Palast zu errichten, und machte darin eine Kammer, die schöner und besser gelegen war als alle andern, in die der besagte Schatz kommen sollte. Dabei brachte er sehr listig und kunstreich einen Stein an, der heraus- und hineinging, in der Absicht, in die Kammer nach seinem Gefallen einzudringen; von diesem Eingang aber wußte kein Mensch als er. Als nun der Palast fertig war, ließ der Doge alles kostbare Gerät, damastene Stoffe mit Gold durchwirkt, Tapeten, Bankteppiche, Mäntel und anderes Zeug und Gold und Silber in Menge in die Kammer bringen. Man nannte dies nun die Turpea des Dogen und der Gemeinde von Venedig; sie war mit fünf Schlüsseln verschlossen, deren vier die vier ersten Bürger Venedigs hatten, die dazu beauftragt waren und die die Kämmerlinge des Schatzes von Venedig hießen; den fünften Schlüssel aber hatte der Doge. So konnte also die Schatzkammer nicht geöffnet werden, und es mußten alle fünf dazu zusammenkommen, die die Schlüssel in Händen hatten.
Als nun dieser Bindo mit seiner Familie in Venedig lebte und Bürger geworden war, fing er an, Aufwand zu machen und wie ein reicher Mann zu leben; und sein Sohn Ricciardo gab sich ungeordneter Verschwendung hin, so daß es ihnen in kurzem an Mitteln für ihren übermäßigen Aufwand fehlte. Da rief der Vater einst bei Nacht seinen Sohn, nahm eine kleine Leiter und ein geeignetes Hebeisen und ein wenig Mörtel mit, und so gingen sie an das Loch, das der Baumeister so kunstvoll in der Kammer angebracht hatte. Er legte die Leiter an, hob den Stein heraus, schlüpfte in die Kammer und zog einen schönen goldenen Becher hervor, der in einem Schranke stand, ging dann heraus und setzte den Stein wieder an seine gehörige Stelle. Zu Hause angelangt, zerschlugen sie den Becher und schickten ihn stückweise zum Verkauf in einige lombardische Städte. Auf diese Weise führten sie das ungeordnete Leben fort, das sie angefangen hatten.
Nun begab es sich, daß ein Kardinal nach Venedig zu dem Dogen kam, dem man besondere Ehre erzeigen wollte, und so mußte man die Kammer öffnen, wegen des darin befindlichen Gerätes, des Silberzeugs, der Tapeten und anderer Dinge. Als man sie nun aufmachte und die besagten Gegenstände herausnahm, vermißte man den Becher. Darüber entstand nun unter den Verwaltern der größte Lärm; sie gingen zu dem Dogen und sagten ihm, daß man den Becher nicht mehr sehe. Der Doge verwunderte sich und sagte: »Das müßt ihr untereinander ausmachen.« Und nach langem Hinundherreden befahl er ihnen, von der Sache nichts zu sagen noch etwas deshalb vorzunehmen, bis der erwartete Kardinal wieder abgereist sei.
Und so geschah's auch. Der Kardinal kam, und es wurde ihm große Ehre erwiesen; als er aber fort war, sandte der Doge nach den vier Kämmerlingen und verlangte nun zu wissen, wo der Becher hingekommen sei. Er befahl ihnen, nicht eher aus dem Palaste zu gehen, bis der Becher wiedergefunden sei, und sprach: »Ihr habt es allein zu verantworten.«
Die vier Männer traten zusammen und besannen sich, wußten sich aber auf keine Weise zu erklären, wie der Becher weggekommen sei.
»Überlegen wir«, sagte einer von ihnen, »ob man in die Kammer auch auf anderm Wege gelangen kann als durch die Tür.«
Sie schauten umher, erblickten aber nirgends eine Öffnung. Sie wollten listiger zu Werke gehen und ließen die Kammer mit dürrem Stroh füllen, zündeten es an und verschlossen Türe und Fenster, damit der Rauch nicht hinauskönne. Als nun das Stroh brannte, entstand ein so gewaltiger Rauch, daß er durchschwitzte und sich Bahn machte durch jene Öffnung. So merkten sie denn, von welcher Seite der Schaden kam, gingen zum Dogen
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