Italienische Novellen, Band 2
wenn sie unter den Balkonen vorüberfuhren.
Eines Tages, als eine von den vier Schwestern auch wieder von Elena mit Zureden belästigt wurde, den Balkon zu verlassen, sagte sie zu ihr: »O Elena, wenn du nur einen kleinen Teil des Vergnügens empfändest, das wir hier an den Fenstern genießen, du würdest beim Himmel ebenso gerne hier verweilen wie wir selbst und dich nicht um das Ballspiel kümmern. Aber du bist ein kindisches Mädchen und verstehst noch nichts von diesen Dingen.«
Elena kehrte sich an ihre Worte nicht und fuhr fort, sie mit kindischer Zudringlichkeit zum Spiele anzuhalten. Inzwischen kam wieder ein Feiertag heran, und die vier Schwestern waren diesmal verhindert, Elena zu besuchen. Betrübt und verdüstert darüber trat sie an eines der Fenster, die dem Hause ihrer Freundinnen gegenüber auf den kleinen Kanal gingen. Dort fühlte sie sich denn recht traurig und einsam ohne ihre Freundinnen, an die sie sich nun schon ganz gewöhnt hatte. Da trug es sich zu, während das unschuldige Kind so dastand, daß Gerardo in seiner kleinen Barke vorüberglitt, um die Frau des Barbiers zu besuchen, und, zufälligerweise emporblickend, das einfältige Kind am Fenster stehen sah. Als sie dies bemerkte, wendete sie ihm gleich ihr Köpfchen zu und sah ihn freundlich an, wie sie es ihre Gespielinnen mit ihren Liebhabern hatte machen sehen. Der verwunderte Gerardo, der vielleicht noch nie an sie gedacht oder sie gesehen hatte, unterließ nicht, ihr verliebte Blicke zuzuwerfen, und sie erwiderte sie lächelnd, in der Meinung, dies gehöre eben zum Spiele. Gerardo fuhr weiter. Als er aber eine kleine Strecke entfernt war, sagte sein Barkenführer zu ihm: »Lieber Herr, habt Ihr nicht das schöne Mädchen gesehen und darauf geachtet, mit wie heiterer Miene und entgegenkommender Freundlichkeit sie fortwährend mit Euch liebäugelte? Bei Sankt Zacharias, die ist doch eine andere und schmackhaftere Speise dem Ansehen nach, als die Barbiersfrau; das kann ich Euch versichern, sie gäbe Euch eine lustige Nacht und schlechten Schlaf.«
Gerardo tat, als habe er nicht darauf geachtet, und sagte zu dem Diener: »Ich will doch einmal sehen, wer sie ist, und ob sie mir auch so schön vorkommt, wie du behauptest. Wende die Gondel um und rudere ganz sachte dicht am Hause hin!«
Elena hatte sich noch nicht vom Balkon entfernt. Der Jüngling sah sie also wieder, indem er in seiner unbedeckten Barke langsam vorüberfuhr, betrachtete sie mit heiterem Gesicht und warf ihr verstohlen einige lüsterne Blicke zu. Sie hatte gerade eine schöne blühende Nelke im Haar, nahm sie heraus, als die Gondel unter dem Balkon vorüberfuhr, und ließ die schöne duftende Blume so nahe wie möglich an dem Jüngling hinunterfallen. Außer sich vor Freude über diese Gunst, erfaßte Gerardo die frische Blume, verneigte sich geziemend vor der Jungfrau und küßte die blühende Gabe zu wiederholten Malen. Ihr voller würziger Duft und die Schönheit Elenas drangen so tief in das Herz des Jünglings ein, daß jede andere Glut, die darin brannte, augenblicklich erlosch und die Flammen der schönen Elena es mit solcher Gewalt entzündeten, daß das Feuer nie mehr, geschweige zu löschen, ja nicht einmal irgend zu mildern war. Da also Gerardo von neuen Flammen glühte, gab er den Umgang mit der Barbiersfrau völlig auf, um sich dem schönen Kinde ganz zu eigen zu geben. Elena hingegen, deren reine Brust noch für die Pfeile der Liebe unempfänglich war, sah zwar Gerardo recht gern unter ihren Fenstern vorübergleiten, empfand aber doch, wenn sie ihm in seine sich zu ihr aufschlagenden Augen blickte, nicht mehr und nicht weniger als bei einem andern Spiele.
Alle Tage, ja vier bis sechs Male des Tages legte der verliebte Jüngling denselben Weg zurück, fand aber nie Gelegenheit, Elena zu sehen, außer an Festtagen, weil sie in ihrer Einfalt und Liebesunerfahrenheit meinte, an Werktagen schicke es sich nicht, zu spielen. Gerardo, der sie glühend liebte, bereitete sie kein geringes Leidwesen dadurch, daß sie ihm weder Gelegenheit bot, sie zu sehen, noch viel weniger die, ihr mündlich oder schriftlich seine Liebe zu erklären. Während er sich so ohne Nutzen in Glut verzehrte, bemühte er sich wenigstens, wenn er sie festtags sah, ihr mit Gebärden, so gut er konnte, die heftigen ihn verzehrenden Flammen kundzutun; aber sie verstand wenig von solchen Gebärden. Nichtsdestoweniger empfand Elena am Ende ein gewisses nicht geringes Vergnügen, Gerardo zu
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