Italienische Novellen, Band 2
die man herbeigerufen hatte, und andere Verwandte und Freunde sein Bett umgaben, so vermochte er sich zwar noch nicht zu erklären, was eigentlich mit ihm vorgegangen war, hatte jedoch Überlegungskraft genug, einzusehen, daß dies nicht der schickliche Ort sei, um mit der Amme zu besprechen, was er von ihr wissen wollte. Er ging daher auf andere Gegenstände ein und sagte, er empfinde keinerlei Übel und Beschwerde mehr, was die Seinigen mit unglaublicher Freude erfüllte. Von seinem Vater und den Ärzten befragt, was ihn denn so sehr niedergeschlagen und außer sich gebracht habe, antwortete er, er wisse es nicht. Darauf nahmen sie einer um den andern Abschied und verließen das Gemach, bis er mit seiner Amme allein war. Er wendete sich nun in tiefer Rührung zu ihr und sagte zu ihr nach heißen Seufzern: »Ihr werdet, holdeste Mutter, aus meinem grausamen Unfalle leicht haben erraten können, wie es mit mir steht. Denn mein Leben muß in der Tat in kurzem bitterlich zu Ende gehen, wofern mir nicht bald geholfen wird. Und ich weiß gar nicht, wohin ich mich um Hilfe wenden soll, als an Euch allein, in deren Händen es offenbar beruht, mich lebendig zu erhalten oder zu töten. Ihr seid es, wenn Ihr wollt, die mir diejenige Hilfe reichen kann, welche genügt, um mich am Leben zu erhalten. Aber wenn Ihr mir Euern Beistand verweigert, so nehmt Ihr mir ganz sicher das Leben und werdet an mir zur Mörderin.«
Die mitleidige, liebevolle Amme tröstete auf diese Worte den betrübten Gerardo, ermahnte ihn, gutes Mutes zu sein und dafür zu sorgen, daß er seine verlorenen Kräfte wiederbekomme, und versprach ihm bereitwillig jeden Beistand; was von ihrer Seite in dieser Sache geschehen könne, dazu erklärte sie sich von ganzem Herzen bereit, und sie wolle sich alle mögliche Mühe geben, ihm zu helfen; er solle sie niemals in Besorgung seiner Angelegenheiten müde finden. Als der Jüngling diese ausgedehnten Versprechungen vernahm, tröstete er sich vollständig und dankte der Amme für diese gute und freundliche Gesinnung auf das inständigste. Darauf bat und beschwor er sie wiederholt mit den eindringlichsten Worten, die er finden konnte, erzählte ihr die seltsame Art seiner Liebe, konnte aber freilich den Namen seiner Geliebten nicht nennen und wußte nur anzugeben, daß es eines von den fünf Mädchen sei, die er festtags, zuweilen einzeln, zuweilen miteinander an den Fenstern von Messer Pietros Hause sah. Die Amme hörte aufmerksam an, was ihr der Jüngling sagte, und indem sie bei sich im stillen überlegte, wer wohl das Mädchen sein könne, zu dem Gerardo eine so heftige Liebe fühle, hielt sie es für ausgemacht, es müsse eine von Elenas Freundinnen sein, die sie als keck und aufgeweckt kannte. Auf Elena, deren Einfalt und Reinheit sie kannte, hatte sie nicht den geringsten Verdacht. Gerardo ließ sich bald zufriedenstellen und gab auf die Versprechungen seiner Amme sich erneuten Hoffnungen hin. Sie kamen überein, daß die Amme am nächsten Festtage mit den Mädchen an den Fenstern stehen und genau aufpassen solle, um zu bemerken, wer Gerardos Geliebte sei, damit sie am rechten Platz und Augenblick zu seinen Gunsten unterhandeln könne. Gerardo sollte an dem verabredeten Tage wiederholt in seiner Gondel durch den Kanal fahren. Da sie diesen Beschluß an einem Montag faßten, so befolgte der Jüngling, obwohl er sich ganz wohl fühlte, willig den Rat seines Vaters, auf ein ihnen gehöriges Gut auf dem Festland, etwa sechs bis sieben Meilen von Venedig, zu gehen. Er belustigte sich daselbst auf mancherlei Weise bis Freitag morgens und kehrte dann nach Venedig zurück.
An dem von dem Liebhaber und der Amme so sehnlich erwarteten Sonntag ließen die vier Schwestern Elena wissen, daß sie sich ihrer Gewohnheit nach bei ihr einzufinden gedächten. Elena, die schon anfing, an der Liebe des Jünglings zu erwärmen, und seit seiner Ohnmacht ein gewisses Etwas im Herzen empfunden hatte, das sie zu inniger Teilnahme an ihm erregte, und die auch viel an ihn dachte und ihn gerne gesehen hätte, machte sich unter allerlei Vorwänden, so gut sie konnte, von dem angekündigten Besuche los. Sie tat dies, damit sie, wenn ihr Geliebter, wie sie hoffte, vorüberführe, von niemand verhindert wäre, ihn nach Bequemlichkeit zu betrachten. Der Amme kam die Nachricht, daß die vier Schwestern Elena nicht besuchen werden, sehr unerwünscht, weil sie nun nicht mehr wußte, wie sie Gerardos Verlangen befriedigen solle. Da sie indessen
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