Italienische Novellen, Band 2
sah, daß Elena nach dem Essen gar keine Ruhe fand und tausendmal in der Stunde ans Fenster lief, so geriet sie auf die Vermutung, sie möge auch mit einem jungen Manne einen Liebeshandel haben; und um sich desto besser über die Sache aufzuklären, gab sie vor, sie wolle ein wenig schlafen. Elena war dieser Vorschlag nicht nur ganz recht, weil sie so freies Feld hatte, um nach Belieben an die Fenster zu geben, sondern sie redete sogar der guten Alten noch liebreich zu, der Ruhe zu pflegen. Sobald sie sah, daß die Amme sich ins Schlafzimmer zurückgezogen hatte, ging sie selbst in ein anderes Gemach, um ihr ersehntes verliebtes Spiel zu beginnen, und wurde dabei auch entschieden vom Glück begünstigt. Denn kaum hatte sie sich ans Fenster gelegt, als Gerardo, der nicht schlief, sondern sehr wachsam seine Angelegenheit verfolgte, sich in dem kleinen Kanal sehen ließ. Die schlaue Amme war ebenfalls ans Fenster getreten und hatte, wie sie den Jüngling in der Gondel erscheinen sah, das Fenster ins Auge gefaßt, an dem Elena stand, die, über Gerardos Anblick vor Freude strahlend, ihm durch kindische Gebärden zu seiner Genesung Glück zu wünschen schien. Sie hatte einen Blumenstrauß in der Hand und warf ihn, als die Gondel unter ihr hinfuhr, dem Jüngling zu. Als die Amme dieses Verfahren sah, bedurfte sie keiner weiteren Beweise, daß Elena Gerardos Geliebte sei, und da sie glaubte, ein Ehebündnis könne zwischen ihnen beiden recht wohl in allen Ehren zustande kommen, wofern ihr Wunsch sei, sich zu verheiraten, trat sie schnell in Elenas Gemach, die noch immer am Fenster stand und mit ihrem Gerardo liebäugelte, und sagte zu ihr: »Ei, sage mir, meine liebe Tochter, was ich da von dir sehen muß! Was hast du mit dem Jünglinge zu schaffen, der eben durch den Kanal fuhr ? Ei, die schöne und ehrbare Tochter, die den ganzen Tag am Fenster steht und den Vorübergehenden Sträuße zuwirft! Wehe dir, wenn dein Vater jemals etwas davon erführe! Das kann ich dir sagen, er würde dir so mitspielen, daß du fürwahr die Toten beneidetest.«
Die Jungfrau entsetzte sich über diesen bittern Tadel dermaßen, daß sie nicht wagte noch imstande war, einen Laut zu erwidern. Doch sah sie der Amme im Gesicht an, wenn sie sie auch derb ausgezankt hatte, daß sie darum nicht sehr erzürnt auf sie sei. Sie warf ihr die Arme um den Hals, küßte sie kindlich und sagte mit holdem Tone zu ihr: »Mein liebes Mütterchen, ich bitte Euch demütig um Vergebung, wenn ich in dem Scherze, den Ihr eben mitangesehen habt, ohne mein Wissen gefehlt habe. Aber wenn Euch an meiner Zufriedenheit gelegen ist, so hört doch ein wenig meine Gründe, und wenn Ihr dann glaubt, ich habe in diesem Spiele unrecht gehabt, so gebt mir eine Strafe, die Euch angemessen scheint! Ihr wißt, daß mein Herr Vater an den Sonntagen vier Schwestern hat ins Haus kommen lassen, die hier gegenüber wohnen, damit wir in geselligen Spielen uns miteinander unterhalten. Sie lehrten mich zuerst das Forfettaspiel; dann sagten sie mir, ein viel ergötzlicheres Spiel noch sei es, ans Fenster zu treten und, wenn junge Männer auf dem Kanal in Gondeln vorüberfahren, ihnen Rosen, Blüten, Nelken und dergleichen zuzuwerfen und so mit ihnen zu spielen. Dies gefiel mir ganz wohl, und ich wählte mir zu meinem Spiel denjenigen Jüngling aus, mit dem Ihr mich spielen gesehen habt. Ich meinesteils wünschte, daß er recht oft hier vorbeikäme; und ich weiß nicht, was Ihr an diesem Spiele auszusetzen habt; wenn ich aber hierin unrecht habe, so gebe ich es willig auf.«
Die Amme konnte sich nicht enthalten zu lachen, als sie hörte, wie einfältig und ohne alles Falsch das gute Kind sich aussprach, und nahm sich vor, die im Scherz angefangene Sache einem ernsten Ziele entgegenzuführen. Sie antwortete daher Elena: »Mein aller liebstes Töchterchen, ich muß dir notwendig sagen, daß ich den Jüngling, der eben vorüberfuhr, an meiner eigenen Brust gesäugt habe. Er heißt Gerardo und ist der Sohn des Messer Paolo, der auf der andern Seite des großen Kanals den schönen und bequemen Palast besitzt. Ich wohnte über zwei Jahre in seinem Hause. Darum liebe ich ihn denn auch wie einen Sohn und bin immer in seinem Hause wohlbekannt, von allen gerngesehen und wertgehalten worden. Aus diesem Grunde hegt mir sein Wohl, Ehre und Frommen ebenso am Herzen wie mein eigenes – gerade wie ich auch deine Zufriedenheit wünsche; und so werde ich mich für dich und für ihn stets so sehr bemühen
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