Italienische Novellen, Band 2
das Haus des Bootsmanns. Dort angelangt, pochten sie heftig an die Tür, wurden gehört und der Bootsmann erkannt. Das erstemal, als er an das Haus kam, hatte die Mutter nichts gehört. Die gute Alte, hocherfreut über die Rückkehr ihres Sohnes, ließ von der Magd Licht anzünden und die Tür öffnen. Der Bootsmann umarmte seine teure Mutter, schickte die Magd mit gewissen Aufträgen hinweg und trug mit Gerardo, ohne von ihr bemerkt zu werden, Elena in ein wohnliches Zimmer, wo sie sie entkleidet in ein treffliches Bett legten. Nachdem sodann Feuer angemacht und leinene Tücher gewärmt waren, auch die gute Alte sich in das ganze Geheimnis hatte einweihen lassen, fingen sie an, die Scheintote allmählich zu erwärmen und zu reiben. Dies setzten sie so lange und eifrig fort, bis die junge Frau nach und nach wiedererwachte und zur Besinnung kam, ja sogar mit stammelnder und zitternder Stimme einige halblaute Worte sprach. Sie schlug die Augen auf und gewann die Sehkraft allmählich wieder: dann erkannte sie ihren Gerardo, schien jedoch nicht völlig im Bewußtsein ihrer selbst: sie wußte nicht, ob sie träume, oder ob es wahr sei, was sie sehe. Bei so überzeugenden Lebenszeichen umarmte und küßte Gerardo seine teuerste Gattin aufs zärtlichste und vergoß, von der Fülle der Wonne überströmend, heiße Tränen. Sobald aber die junge Frau wieder ganz zu sich gekommen war und von dem Gatten und dem Bootsmann den Hergang vernommen hatte, und wie sie begraben und aus der Gruft errettet worden sei, fehlte nicht viel, daß sie vor Schreck und Freude wieder ohnmächtig geworden wäre. Wer nun meinte oder glaubte, die Wonne und das Glück der beiden Liebenden schildern zu können, wäre sehr im Irrtum; denn in der Tat, der tausendste Teil ihrer vollkommenen Seligkeit könnte nicht ausgedrückt werden. Die von den Toten wiedererstandene Elena wurde nun mit frischen Eiern, Pistaziennüssen, Backwerk und köstlichem Malvasier erquickt. Schon nahte die Morgenröte, aber Elena wurde von allen gebeten, sich der Ruhe zu überlassen und sich durch einen erquickenden Schlaf noch weiter zu stärken. Sie legte sich daher zur Ruhe nieder, und da sie in dieser und der vorhergehenden Nacht nicht geschlafen hatte, schlummerte sie nunmehr bald ein.
Als der Tag gekommen war, ließ Gerardo Elena noch ruhen und schickte den Bootsmann nach der Galeere zurück, während er selbst sich in einer Gondel nach dem Hause seines Vaters begab. Dieser war bereits aufgestanden und umarmte seinen Sohn mit lautem Jubel. Der glückliche und vergnügte Gerardo unterrichtete seinen Vater kurz über den ganzen Hergang seiner wohlgelungenen Reise, wie er beim Verkauf der mitgenommenen Waren einen beträchtlichen Gewinn gemacht habe und nicht minder im Einkauf der mit nach Hause gebrachten Waren. Der Vater war darüber vollkommen zufriedengestellt und segnete seinen Sohn tausendmal. Gerardo speiste diesen Morgen zu Hause mit seinen Eltern in größter Heiterkeit. Nach Tische verbrachte er einige Zeit damit, seine Galeere in Venedig einlaufen zu lassen und die nötigen Gänge zu tun. Sodann besuchte er mit dem Bootsmann seine Elena, bei der er fröhlich zu Abend speiste und in der Nacht schlief.
Am Morgen darauf beriet er sich sodann mit dem getreuen Bootsmann über das, was in betreff Elenas ferner vorzukehren sei. Nach vielfältigem Nachdenken kam er auf den Schluß, sie würde bis zur Veröffentlichung ihrer Vermählung am bequemsten und anständigsten bei seinem Schwager Lionardo aufgehoben sein; weshalb er denn am folgenden Tag mit ihm und seiner Schwester zu Mittag speiste. Nach Tisch bat er sie, sich mit ihm in ein Nebenzimmer zurückzuziehen, weil er ihnen ein Geheimnis mitzuteilen habe. Sie begaben sich daher aus dem Speisesaale hinweg, und Gerardo begann auf folgende Weise zu ihnen zu reden: »Hochgeehrter Schwager und teuerste Schwester, der Grund, weshalb ich euch bemüht habe, mich abseits zu führen, ist eine Angelegenheit von der größten Wichtigkeit für mich, wobei ich eure Verschwiegenheit und euern Beistand in Anspruch nehmen muß. Ich weiß, wie sehr ihr mich beide liebt, und daß ich, um eine Gefälligkeit von euch zu erlangen, nicht den Umschweif von Redensarten nötig habe, den ich anwenden würde, um von einem Fremden etwas zu erbitten. Darum komme ich zur Sache.«
Hier erzählte er ihnen nun die ganze Geschichte seiner Liebe von Anfang bis zu Ende und das schauerliche Begegnis, das seiner Gattin widerfahren war, die er in dem Hause
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