Italienische Novellen, Band 2
wiederum in das Schlafzimmer, um Elena zu wecken und anzuziehen, fand aber zu ihrer Verwunderung die Tür verriegelt. Indem sie zu wiederholten Malen daran pochte und heftig klopfte, aber durchaus keine Antwort erfolgte, kam Messer Pietro auf das von ihm vernommene Geräusch hinzu. Nach langem, vergeblichem Pochen wurde zuletzt die Tür mit Gewalt eingedrückt und zu Boden geworfen. Der Vater drang mit andern Hausgenossen in das Gemach, man riß die Fensterläden auf, und alle sahen nun die arme Elena wie tot auf dem Bette hingestreckt liegen. Es erhob sich darüber der größte Aufruhr: der unglückliche Vater weinte jämmerlich, und Klagerufe stiegen von ihm zum Himmel empor. Die Amme warf sich schreiend und heulend wie eine Rasende über sie her. Es gab kein Auge im ganzen Hause, das nicht von bitteren Tränen überfloß. Man schickte nach Ärzten, nach dem Bräutigam, nach Verwandten. Alles wurde versucht, unzählige Mittel angewendet, um Elena wieder zu sich zu bringen; aber völlig umsonst. Die Amme wurde ernstlich befragt und gab an, nachdem Elena die Nacht über sehr unruhig gewesen, wie wenn sie vom heftigsten Fieber geplagt würde, habe das Fräulein, als sie das Zimmer verlassen, gewacht. Innerlich aber hegte sie die feste Überzeugung, dem armen Weibe sei aus übergroßem Leidwesen das Herz gebrochen, und sie konnte sich nicht fassen noch zufrieden geben. Der trostlose Vater weinte unmäßig und sagte Dinge, die hätten Steine erbarmen mögen, geschweige Menschen. Als man nun nach Anwendung von tausend Hilfsmitteln einsah, daß der jungen Frau gar nichts half, nahmen die Ärzte an, sie müsse infolge eines aus dem Kopf auf das Herz getretenen Flusses vom Schlage getroffen und getötet worden sein. Da nun alle sie für tot hielten, traf man Veranstaltungen, sie noch am selbigen Abend ehrenvoll nach ihrem Range zum Begräbnis zu tragen nach dem Castello in das Patriarchat und sie in der marmornen Gruft ihrer Vorfahren beisetzen zu lassen, die außerhalb der Kirche war. So wurde das unglückliche junge Weib unter allgemeinem Wehklagen ihrer Bekannten zur Erde bestattet.
Hier könnt ihr nun sehen, wie wunderbarerweise zuweilen Glücksfälle herbeigeführt werden, und wahrnehmen, daß man nie eine vollkommene Freude haben kann, in die sich nicht einige Trauer mischte, und daß mit dem süßen Honig nie so viel bitterer Wermut gemengt ist, daß man nicht die Süßigkeit der Lust doch einigermaßen schmeckte. An dem nämlichen Tage mußte es geschehen, daß Gerardo am Strande bei Venedig mit seiner Galeere landete, nachdem er seine Reise so glücklich vollendet hatte, wie er sich nur hatte wünschen mögen, und reich an Gewinn. Es ist ein löblicher Gebrauch in Venedig, daß jedesmal, wenn Schiffe oder Galeeren von weiten Reisen zurückkehren, und namentlich wenn sie prachtvoll ausgestattet sind, Freunde und Verwandte ihnen zum Empfang entgegengehen, um sich mit ihnen über die gute und glückliche Zurückkunft zu freuen. Es zogen daher nicht wenige junge Leute und andere Bürger zu heiterem Empfange dem ankommenden Gerardo entgegen, welcher äußerst vergnügt ankam, nicht sowohl weil er reich und wohlversorgt heimkehrte, als in der Hoffnung, seine teuerste, von ihm über alles zärtlich geliebte Gattin wiederzusehen. Aber der Unglückliche wußte nicht, daß in derselben Stunde, wo er am Strande anlegte, sie zur Erde bestattet wurde. So trügerisch sind unsere Gedanken. Er landete eine halbe oder eine Stunde nach Sonnenuntergang, und um diese Stunde eben ging der Trauergottesdienst der unglücklichen Elena zu Ende, und die brennenden Lichter sendeten davon ihren hellen Strahl herüber.
Einige von denen, die von Beirut zurückkamen, fragten die ihnen Entgegenkommenden, was die vielen Lichter zu dieser Stunde bedeuteten. Es waren darunter viele junge Männer, die den Unglücksfall der armen Elena wohl kannten, und diese erzählten, sie habe sich heute verheiraten sollen, sei aber diesen Morgen in ihrem Schlafzimmer tot gefunden worden; wahrscheinlich werde sie nun in diesem Augenblick begraben. Bei dieser kläglichen rührenden Nachricht bedauerte gewiß jedermann das arme Mädchen. Gerardo aber vor allen fühlte nicht nur das größte Mitleid, sondern einen solchen Schmerz, der ihn so heftig quälte, daß es ein großes Wunder war, wie er nur die Tränen zurückzuhalten und sich so zu bemeistern vermochte, daß er nicht durch Jammerrufe das innere Weh offenbarte, das ihn so elendiglich peinigte. Doch gewann
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