Italienische Novellen, Band 2
sie dann aber zu der Einsicht gelangte, daß keine andere Entscheidung als die der Waffen möglich sei, und da sie doch ihren Bruder wie ihr Leben liebte, so gelobte sie Gott, wenn er ihn diesen Tag siegreich bestehen lasse, zu Fuß eine Pilgerfahrt nach Rom zum Besuche der Kirche des seligen Apostels Petrus auszuführen.
Die wilde Schlacht wurde geschlagen, und die Toledo erlitten eine gänzliche Niederlage, während Don Giovanni nur mit geringem Verluste der Seinigen das Feld behauptete. Frau Isabella (so hieß die junge Witwe) teilte ihr Gelübde ihrem Bruder mit, und wie ungern dieser sie auch eine so weite Reise zu Fuß unternehmen ließ, gab er dazu doch seine Einwilligung und veranstaltete nur, daß sie wohlbegleitet und womöglich mit allen Bequemlichkeiten versehen in kleinen Tagereisen ihren Weg antrat. Frau Isabella verließ Spanien, stieg über die Pyrenäen nach Frankreich hinüber, überschritt die Alpen ebenfalls und gelangte nach Turin. Gemahlin des Herzogs von Savoyen war damals eine Schwester des Königs von England, und sie galt für die schönste Frau des ganzen Abendlandes. Die spanische Pilgerin wünschte diese Herzogin zu sehen, um sich zu überzeugen, ob die Wirklichkeit dem Gerüchte gleichkomme, das allenthalben ihre große Schönheit pries. Das Glück war ihr hierbei sehr günstig: denn indem sie in Turin einwanderte, fanden sich am Tore gerade so viele Fuhrwerke zusammen, welche hineinwollten, daß sie den Pferden Eingang und Ausgang eine Weile erschwerten und versperrten. Die Herzogin, die in einem sehr schönen Wagen saß und herauswollte, um vor der Stadt spazierenzufahren – es war im Sommer nach dem Abendessen –, sah sich genötigt, drinnen zu bleiben, bis die äußeren Wagen hinein waren. Die Pilgerin schlüpfte mit ihrem Gefolge, weil sie zu Fuß war, leicht hinein, und als sie erfahren hatte, daß die im Wagen Wartende die so sehr gefeierte Herzogin sei, trat sie zu ihr, die am Schlage des Wagens saß, nahe heran. Die Pilgerin begann hier die schöne Herzogin sehr aufmerksam und fest zu betrachten und von allen Seiten mit prüfendem Blicke ins Auge zu fassen, und sie schien ihr in der Tat die schönste und reizendste Frau, die sie jemals gesehen hatte; ja sie glaubte, das Gerücht bleibe diesfalls hinter der Wirklichkeit zurück, und es sei leichter, eine so große Schönheit und Anmut wie diese zu bewundern, als jemand zu schildern. Ganz außer sich vor Entzücken rief sie daher ganz laut in spanischer Sprache: »Gott im Himmel, das ist doch die schönste und reizendste Frau, die man sehen kann! Was müßte das für Kinder geben, wenn mein Bruder sich mit ihr verbände! Wahrhaftig, das würden ganze Engel!«
Don Giovanni war dazumal einer der schönsten Ritter, die man finden konnte. Die Herzogin, welche vollkommen gut Spanisch verstand, das sie schon in England gelernt hatte, rief einen ihrer Lakaien und befahl ihm, der spanischen Pilgerin unbemerkt in ihre Herberge zu folgen und sie später auf das Schloß zu bringen, was denn auch pünktlich ausgeführt wurde. Die ganze Zeit über, wo die Herzogin sodann an den Ufern des Po lustwandelte, konnte sie an nichts anderes denken, als an die Worte der Pilgerin; sie bildete sich tausend und aber tausend Vorstellungen darüber und kam doch nie auf das Wahre. Als sie nun in das Schloß zurückkehrte, fand sie die Pilgerin, die infolge der Anordnung ihres Lakaien sie erwartete und auch ihre Begleitung bei sich hatte. Die Herzogin zog die Pilgerin beiseite und begann sie zu befragen, aus welcher Provinz von Spanien sie sei, aus welchem Geschlechte und wohin sie gehe. Sie antwortete auf alles mit Überlegung und entdeckte der Herzogin die Ursache, warum sie nach Rom wallfahrte.
Als die Herzogin den Adel der Fremden vernahm, entschuldigte sie sich bei ihr darüber, daß sie sie nicht gleich anfangs mehr geehrt habe; der Grund sei bloß der gewesen, daß sie sie nicht gekannt habe. So wechselte sie noch eine ganze Weile mit ihr höfliche Reden. Am Ende aber kam die Herzogin zur Sache und wollte wissen, zu welchem Zwecke die Pilgerin die früher erwähnten Worte gesprochen habe, als sie sie in dem Wagen bemerkte. Frau Isabella antwortete ganz unbefangen: »Frau Herzogin, der Herr Don Giovanni Mendozza, mein Bruder, ist einer der schönsten Jünglinge, die man heutzutage kennt; dies behauptet wenigstens ein jeder, der ihn sieht; ich würde mir selbst nicht glauben, daß seine Schönheit so groß ist, wie ich Euch hier sage, wenn das
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