Italienische Novellen, Band 2
kam an der ärmlichen Herberge seiner Frau vorüber und ergriff eine Veranlassung, stille zu halten. Da näherte sich, wie ihm früher befohlen worden war, jener, während sie warteten, der Frau, die zufällig mit der Gräfin an der Küchentür verweilte, und sagte zu ihr: »Wer ist das Mädchen hier neben Euch, liebe Frau?« Die Wirtin antwortete ihm, wer sie sei, und wann und wie sie zu ihr gekommen.
»Ei«, sagte der Edelmann, »Ihr seht doch aus, als lebtet Ihr schon lang genug in der Welt, und habt noch nichts darin gelernt! Dieses Mädchen sieht mir aus, als wäre sie das schlaueste, böseste Geschöpf, das ich je gesehen; und wenn Ihr nicht Achtung gebt, so stiehlt sie Euch noch alles, was Ihr habt.«
Die Alte leugnete dies und erteilte ihr das größte Lob. Darum sagte der Edelmann zu ihr: »Ich will, ehe ich von hier weggehe, machen, daß Ihr Euch mit eigenen Augen von der Wahrheit meiner Behauptung überzeugt: Seid so gut und hebt ihr ein wenig vorn die Röcke auf und schaut ihr in die Tasche, die sie darunter hat, so werdet Ihr etwas darin finden, was Euch beweisen wird, daß ich nicht umsonst sieben Jahre in Toledo Nekromantie studiert habe.«
Als er Miene machte, selbst den Beweis zu führen, untersuchte die gute Frau, mehr um ihm zu gehorchen, als weil sie irgendeinen Verdacht hegte, ihr die Tasche, wo sie die vier Brote versteckt fand. Sie war darüber äußerst verwundert, entschuldigte aber doch freundlich die Fremde vor dem Ritter, der, nachdem er noch etwas darüber gelacht und gespottet hatte, von dannen ritt.
Es läßt sich nicht beschreiben, wie sehr die bedauernswerte Gräfin sich betrübte und schämte. Sie sank fast vor Schmerz zu Boden, sich vor einer so edeln Gesellschaft wegen einer so niedrigen Handlung verhöhnt zu sehen. Als sie darauf von der Wirtin mit mütterlicher Milde zurechtgewiesen wurde, bat sie sie fast unter Tränen um Verzeihung und versprach ihr, nie wieder ähnliche Fehltritte sich zu erlauben, verschwieg jedoch dabei immer, wer sie zu dieser Handlung bestimmt hatte.
Der Graf sagte ihr in der folgenden Nacht, er habe die Brote nicht bedurft, stellte sich aber sehr unzufrieden mit der ihr zuteil gewordenen Beschämung, indem er ihr vorwarf, sie sei selbst an allem schuld, da sie die Sache ungern und ungeschickt angegriffen habe. Die Gräfin von Katalonien, seine Mutter, hatte damals einige kostbare Arbeiten bei einem Künstler bestellt, die sie einem Gelübde gemäß einer Andachtsstätte in Barcelona schenken wollte. Unter andern Dingen waren dabei viele Perlen, aus welchen man Bilder und Tiere nähen sollte, wie man dergleichen Dinge jetzt täglich sieht. Als der Graf dies betrachtete, fiel ihm plötzlich ein, er könne dadurch von neuem seine Gattin beschimpfen. Er sagte zu seiner Mutter, er kenne eine arme Französin, die sehr geübt sei in dergleichen Arbeiten; er wolle sie für den folgenden Tag zu ihr bestellen, denn er wisse, wo sie wohne. In der Nacht sagte er es zu seiner Frau und befahl ihr, ohne Weigern und bei Strafe seiner Ungnade so viel als möglich von den Perlen zu stehlen. Die Arme widersetzte sich zwar unter Tränen lange, teils wegen der eben erst erlittenen Schmach mit dem Brote, teils um nicht das Haus dessen betreten zu müssen, dessen Werbung sie neun Monate früher auf eine beleidigende Weise abgewiesen hatte, und wo sie daher gar leicht hätte erkannt werden können. Doch nach zahllosen und rohen Drohungen des Grafen verstand sie sich endlich dazu, es zu tun; und zu desto größerer Sicherheit verabredeten sie, sie solle die Perlen in den Mund nehmen und unter der Zunge verbergen; denn wenn sie auch nur wenige von ihnen, die alle sehr schön und von großem Wert waren, nehme, so müsse der Gewinn doch immer sehr groß werden.
Gleich am andern Morgen wurde sie von der Mutter des Grafen beschäftigt, und ihr Betragen und Benehmen gefiel so sehr der Mutter wie allen, die sie sahen, daß niemand anders glaubte, als sie sei wirklich eine vornehme Frau, wie sie es auch war, auch abgesehen davon, daß sie in allen Arbeiten, die einer Edelfrau ziemen, sich sehr gewandt und gelehrt zeigte wie nur irgendeine. Sie selbst kümmerte sich wenig um die Worte der andern; vielmehr ging ihr jeder ihrer Lobsprüche wie ein scharfes Messer durch ihre Seele. Sie gedachte nur ihres Auftrages. Schon hatte sie drei der allerschönsten Perlen unter die Zunge gebracht, als eben der Ritter, der ihren Brotdiebstahl verriet, auf des Grafen Befehl in das Zimmer trat und
Weitere Kostenlose Bücher