Italienische Novellen, Band 2
sich richteten. Bald aber erkannte sie an Stimme und Bewegungen, wer es war und was er sagte, verstummte aber, – unentschlossen, was sie zu tun habe.
Der Graf fuhr fort und sagte: »Edle Frau, wenn das, daß Ihr mich ohne Recht und Billigkeit verschmäht habt, mich etwas grausam gegen Euch gemacht hat, und vielleicht mehr, als Ihr für schicklich erachtet, so meine ich doch, wenn Ihr Liebe gefühlt hättet wie ich und so willkürlich beleidigt worden wäret, ich müßte auf einen Punkt in Eurem Herzen Mitleid für alles finden, geschweige Vergebung. Aber bei der Hoheit und dem Seelenadel, den ich in Eurem niedern Stande mehr kennengelernt habe, als ich ihn in Eurer Erhebung aufzufinden wußte, bitte ich Euch, wie ich Eure frühern Beleidigungen verzeihe, daß Ihr mir die meinige in meiner Rache vergebet; und so möge es Euch in Gegenwart meines Vaters und meiner Mutter und aller der hier anwesenden Herren und Frauen gefallen, mir in Barcelona das zu geben, was Ihr mir in Toulouse genommen habt, ich aber durch meine List Euch wieder stahl.«
Die Gräfin gewann ihren verlorenen Mut wieder und erwiderte mit fester Stimme und verständigem, sittsamem Aussehen, nicht wie ein armes Krämerweib, sondern wie eine Fürstin, also: »Es ist mir in der Tat lieb, mein Gebieter, heute zu erfahren, wieviel größer mein Glück gewesen ist als mein Verstand, da ich sehe, daß Ihr Ihr seid und nicht der, den ich mir vorstellte. Euch die gegen mich geübten Grausamkeiten zu verzeihen wird mir um so viel leichter werden, als es Euch gewesen ist, je mehr immer die Rache gerechter ist als die Beleidigung. Indem ich Euch hier schenke oder, richtiger zu sprechen, bestätige, was ich Euch anderswo genommen, folge ich um so mehr meinem innersten Triebe, je geringer für mich die Ehre, je unwürdiger die Haltung und je niedriger die Zeugen waren, in deren Gegenwart die Schenkung in Toulouse geschah, die nun in Barcelona bekräftigt werden soll. Ich bin daher bereit, Euch anzugehören oder auch nicht, denn ich wünsche nur Eurem Willen Genüge zu tun und dem Wohlnehmen Eures Herrn Vaters und Eurer Frau Mutter nachzukommen, deren Edelmut ich um Verzeihung bitte für die Euch zugefügten Beleidigungen, und die ich immer ehren und lieben werde, wie nur eine Tochter kann.«
Sie würde noch weitergesprochen haben, wenn nicht die Tränen des alten Grafen und der Gräfin, die laute Teilnahme und die Freudenrufe der Umstehenden sie unterbrochen hätten. Man führte sie daher hinweg, zog ihr die ärmlichen Kleider aus und hüllte sie in königliche Gewänder. Als darauf das glänzende Fest vorüber war, wurde alles dem Grafen von Toulouse angezeigt, die Verbindung von ihm mit der größten, kaum erwarteten Freude bestätigt samt der früher verabredeten Mitgift und Freundschaft; und die alte Kammerfrau, die den ganzen Handel vermittelt hatte, kam in größere Gunst als je. Die Gräfin gebar nach kurzer Zeit einen sehr schönen Knaben und nach diesem mit der Zeit viele andere Söhne und Töchter und lebte sehr lange zufrieden mit ihrem Manne, vom ganzen Lande fortwährend geliebt und hochgeachtet.
Giovanni Francesco Straparola
Ende des 15. Jahrhunderts bis nach 1557
Die drei väterlichen Verbote
In der uralten und ergötzlichen Stadt Genua lebte vorzeiten ein durch Gaben des Glückes wie durch Gaben des Geistes ausgezeichneter Edelmann namens Rainaldo Scaglia, der seinen ihn über alles liebenden Sohn Salardo so gut erzog und unterrichtete, wie es die Pflicht eines guten Vaters ist, und ihm nichts abgehen ließ, was ihm zum Nutzen, zur Ehre oder zum Ruhm gereichen konnte. Da geschah es nun, daß Rainaldo, in seinem schon vorgerückteren Alter, schwer erkrankte und, weil er fühlte, daß das Ende seiner Tage gekommen sei, einen Notar rufen ließ, der seinen letzten Willen niederschriebe, und demselben zufolge seinen Sohn Salardo zu seinem Haupterben einsetzte, den er aber sodann als ein liebevoller Vater bat, drei Vorschriften jederzeit vor Augen und im Herzen zu behalten, ohne ihrer jemals uneingedenk zu werden. Die erste dieser Vorschriften lautete: daß er niemals, um der wenn auch noch so großen Liebe zu seiner Gattin willen, ihr ein Geheimnis offenbare. Die andere: daß er auf keine Weise einen von ihm nicht erzeugten Sohn an Kindesstatt annehme und zu seinem Erben bestimme. Die dritte: daß er sich keinem Gebieter unterordne, der seinen Staat nur nach seinem alleinigen Willen beherrsche. Sobald er dies ausgesprochen hatte, erteilte er
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