Italienische Novellen, Band 2
sollte aus Eurem Leben werden? Bedenkt Ihr nicht die wilde Feindschaft zwischen den Eurigen und den Unseren, die schon so viele getötet hat? Ihr würdet ganz gewiß zu Eurem großen Schaden und zu meiner geringen Ehre von ihnen umgebracht werden!«
»Gebieterin!« antwortete Romeo, »meine Liebe zu Euch ist schuld, daß ich zu dieser Stunde hierhergekommen bin, und ich bezweifle gar nicht, daß mich die Eurigen würden töten wollen, wenn sie mich hier finden; ich würde mich indessen nach meinen besten Kräften wehren und nicht allein erliegen, wenn ich auch von der größten Übermacht bedrängt werden sollte. Da ich denn nun aber in diesem Liebesabenteuer jedenfalls sterben muß, welch seligeren Tod als den an Eurer Seite könnte ich finden? Eure Ehre mag ich so wenig irgend beeinträchtigen, daß ich bereit bin, sie mit meinem Blute zu verteidigen. Aber wenn die Liebe zu mir über Euch ebensoviel vermöchte wie die Liebe zu Euch über mich, und wenn Euch an meinem Leben nicht minder gelegen wäre als mir an dem Eurigen, so würdet Ihr alles Leid von uns abwenden und mich zu dem beglücktesten Mann auf Erden machen.«
»Und was wollt Ihr, daß ich tun soll?« fragte Julia.
»Ich wollte«, erwiderte Romeo, »Ihr liebtet mich so sehr, wie ich Euch, und ließet mich in Euer Zimmer ein, auf daß ich Euch dort gemächlicher und ungefährdeter die Größe meiner Liebe und meine herben Leiden um Euretwillen schildern könnte.« Hierauf entgegnete Julia, ein wenig über ihn zürnend: »Romeo, du kennst deine Liebe, ich die meinige, und ich weiß auch, daß ich dich liebe, so sehr man lieben kann, und vielleicht mehr als meine Ehre zuläßt. Aber ich sage dir, daß du in einem großen Irrtume befangen und nicht eines Sinnes mit mir bist, wenn du vermeinst, mich anders als in der heiligen Vereinigung der Ehe zu besitzen. Du hältst dich hier des öfteren in einer gefährlichen Nachbarschaft auf und könntest einmal in schlimme Hände fallen, worüber ich mich nimmer zufriedengeben würde; wofern du denn aber ebenso sehnsuchtsvoll wünschest, mein zu sein, als ich ein ewiges Verlangen trage, dir anzugehören, so nimm mich zu deinem ehelichen Gemahle: ich werde bereit sein, dir als solches allerwärts zu folgen, wohin es dir gefällt. Wenn du hingegen anderen Sinnes bist, so gehe fürder deine eigenen Wege weiter und überlasse mich in Frieden mir selbst!«
Romeo, der nichts mehr als dies wünschte, wozu sie ihn aufforderte, sprach ihr fröhlichen Mutes diese Gesinnung aus, und sodann fügte Julia noch hinzu: »Nun, so lebe wohl! Damit aber unser Vorhaben nach Würden gut vollbracht werde, so wünsche ich, daß der ehrwürdige Bruder Lorenzo von Reggio, mein geistlicher Vater, uns traue.«
Sie kamen deswegen miteinander überein und beschlossen, daß Romeo, der ihn sehr genau kannte, des nächstkommenden Tages mit ihm Rücksprache nähme. Dieser fromme Bruder gehörte zu dem Orden der Minoriten, war Magister der Theologie, ein großer, in vielen Dingen erfahrener Philosoph und ein sehr geschickter Destillierer und in der Magie bewandert. Da er zu gleicher Zeit diesen seinen Lieblingsbeschäftigungen nachleben und bei dem gemeinen dummen Volke doch in gutem Ansehen bleiben wollte, so betrieb er jene so geheim als möglich und suchte sich desgleichen für alle Fälle an irgendeinem mächtigen Edlen eines Schutzes und einer Zuflucht zu vergewissern, die ihm unter anderen Freunden denn auch Romeos Vater, ein in Verona höchst einflußreicher Mann, verlieh, der den guten Bruder gewissermaßen für einen Heiligen ansah. Auch Romeo liebte ihn außerordentlich und wurde von dem Bruder wiedergeliebt, weil der ihn als einen klugen, hoffnungsvollen Jüngling kannte. Überdies ging Lorenzo nicht bloß im Hause der Montecchi ein und aus, sondern galt auch viel bei den Capelletti und hatte die Hälfte des Adels von Verona, Männer sowohl wie Frauen, zu Beichtkindern.
Nachdem Romeo also mit der besagten Übereinkunft von Julia Abschied genommen hatte, ging er nach Hause und mit dem folgenden Morgen nach dem Franziskanerkloster, wo er dem Bruder den ganzen Verlauf seiner Liebe und seine und Julias gemeinschaftliche Wünsche eröffnete. Bruder Lorenzo hörte ihn an und versprach, alles zu tun, was Romeo verlangte, weil er entweder ihm nichts abschlagen konnte oder durch dieses Mittel die Capelletti und die Montecchi miteinander auszusöhnen und sich bei Herrn Bartolomeo in Gunst zu setzen hoffte, welcher letztere eifrigst wünschte,
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