Italienische Novellen, Band 2
Nacht ging Romeo mit Pietro an eine gewisse Stelle der Gartenmauer des Hauses seiner Neuvermählten, stieg unter dem Beistande seines Dieners darüber hinweg in den Garten und fand Julia darin vor, die mit ihrer Amme auf ihn wartete. Als die Liebenden einander sahen, flogen sie sich mit ausgebreiteten Armen entgegen. Julia warf sich ihrem Romeo an den Hals und vermochte vor übergroßer Seligkeit eine lange Weile kein Wort zu reden, während Romeos Liebesglut ihm dagegen ein Gefühl einflößte, wie er es noch niemals empfunden hatte. Sie fingen an, eines das andere auf das zärtlichste zu küssen und zu liebkosen, und zogen sich dann in die einsamste Gegend des Gartens zurück, um sich ihrer Liebe ungestört zu erfreuen. Nachdem er sich schließlich zu ferneren geheimen Zusammenkünften mit ihr verabredet hatte, küßte Romeo sein geliebtes Weib zu tausend und aber tausend Malen und enteilte aus dem Garten. »Wer lebt gegenwärtig auf Erden, der glücklicher wäre als ich?« sprach er zu sich selbst; »wer vermag sich einer ähnlichen Liebe wie ich zu erfreuen? Wer des Besitzes einer so schönen und so reizenden Braut wie die meinige?« – Auf der anderen Seite pries aber auch die Jungfrau ihr Geschick nicht minder wie er das seinige und zählte sich alle seine schönen oder tugendlichen Eigenschaften auf, indem sie den Himmel bat, ihr den Besitz ihres geliebten Romeo nimmer zu beeinträchtigen.
Es geschah hierauf, daß die jungen Gatten einige Nächte zusammenkamen, andere nicht. Bruder Lorenzo ließ es sich unterdessen angelegen sein, den Frieden zwischen den Montecchi und den Capelletti zu vermitteln, und hatte die Sachen bereits in eine ganz erträgliche Lage, und zwar so weit gebracht, daß er hoffen konnte, beide feindliche Parteien in die Verbindung der Liebenden einwilligen zu sehen. Da begegnete zur Osterzeit plötzlich einmal auf dem Corso in der Nähe des Beutlertores, nach Castelvecchio zu, eine Schar derer, die sich zu den Capelletti hielten, einigen der Montecchi und fielen sie mit blanken Waffen an. Unter den Capelletti war ein leiblicher Vetter Julias, namens Tebaldo, ein Jüngling von sehr heftiger Gemütsart, der die Seinen anfeuerte, wacker auf die Montecchi loszugehen und ihrer keinen zu schonen. Das Handgemenge ward immer wilder, und da den einen wie den anderen Hilfe an Bewaffneten zustieß, so drangen sie immer wütender aufeinander ein und schlugen sich gegenseitig viele Wunden. Da wollte es der Zufall, daß Romeo hinzukam, den eben außer seinen Dienern auch einige seiner jungen Freunde auf einem Spaziergange durch die Stadt begleiteten. Wie er seine Verwandten mit den Capelletti im Kampfe sah, erzürnte er sich sehr, weil er sich allerdings vorstellen konnte, daß dadurch alle die Schritte, die der Klosterbruder zum Frieden getan, vereitelt würden. Um den Aufruhr zu beschwichtigen, rief er seinen Begleitern und Dienern mit lauter Stimme zu, so daß er von vielen, die sich in seiner Nähe befanden, vernommen wurde: »Werft euch zwischen sie, Brüder, und verhütet aus allen Kräften, daß der Kampf länger anhalte! Vermögt sie, die Waffen ruhen zu lassen!« – Ja, er fing nun auch selbst an, die Kämpfenden, sowohl von seiner wie von der feindlichen Partei, zu ermahnen, friedlich auseinanderzugehen, und wehrte ihnen mutig mit Worten und in der Tat. Aber seine Bemühungen blieben dennoch eitel, weil die Gemüter bereits allzusehr erhitzt waren, um auf ihn zu achten.
Schon waren auf beiden Seiten mehrere gefallen, als Tebaldo auf ihn zukam und einen gewaltigen Stoß nach Romeos Seite führte, der indessen an dem Harnische seines Waffenrockes abglitt, ohne ihn zu verwunden. Romeo wendete sich zu Tebaldo und sprach freundlich zu ihm: »Du irrst dich sehr, Tebaldo, wenn du glaubst, daß ich hierhergekommen sei, um mit dir oder den Deinen Händel zu suchen. Ich ging zufällig hier vorüber und verweilte, um zum Frieden zu reden, weil es mein Wunsch ist, daß wir fernerhin wie gute Bürger miteinander leben. Ich ermahne dich also, mir in meiner guten Absicht beizustehen, damit nicht noch mehr Blut vergossen werde und des geschehenen Ärgernisses jetzt genug sei.«
Diese Rede war fast einem jeden vernehmlich; sei es nun aber, daß Tebaldo in der Tat nicht hörte, was Romeo zu ihm gesagt hatte, oder daß er sich den Anschein gab, ihn nicht verstanden zu haben, kurz, er erwiderte ihm: »Ha, Verräter, du bist des Todes!« – indem er ihm wütend nach dem Kopfe hieb. Romeo dagegen, der schon
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