Italienische Novellen, Band 2
Augen weiter keine Nahrung zieht?«
Aber all sein Sinnen und Trachten war vergebens; denn es nahm den Anschein, daß, je spröder sie ihm begegnete und je weniger sie ihn hoffen ließ, desto mehr seine Liebe zu ihr anwüchse, so daß er keinen Tag mehr Ruhe hatte, ohne sie gesehen zu haben. Indem er nun so standhaft und inbrünstig an dieser Liebe hing, befürchteten einige seiner Freunde, sie würde ihn zugrunde richten, und mahnten ihn viele Male liebreich davon ab; aber er beachtete ihre heilsamen Ratschläge ebensowenig, als die Dame seines Herzens sich um sein Tun und Lassen kümmerte. Unter anderen hatte Romeo einen Genossen, dem es über die Maßen leid war, ihn ohne die Hoffnung auf Erfolg die Zeit seiner Jugend und die Blüte seiner Jahre an diese Dame verschwenden zu sehen, und er sagte daher eines Tages gesprächsweise zu ihm: »Romeo, mir, der ich dich wie einen Bruder liebe, ist es gar zu empfindlich, dich also wie Schnee an der Sonne schmelzen zu sehen! Du siehst und erkennst ja, daß es dir mit nichts gelingt, ihre Liebe zu erwerben: was mühst du dich so unnützerweise ab? Es ist die äußerste Torheit, nach etwas Unmöglichem zu streben. Wahrscheinlicherweise hat sie ihren Liebhaber schon, um dessentwillen sie nichts von dir wissen mag. Du aber bist vielleicht der schönste unter den Jünglingen dieser Stadt. Du bist, erlaube mir, dir die Wahrheit unter die Augen zu sagen, gesittet, anmutig, höflich, und, was der Jugend zur höchsten Zierde gereicht, du hast deinen Geist mit edlem Wissen gebildet. Überdies bist du der einzige Sohn deines Vaters, dessen große Reichtümer allbekannt sind, und der ja nicht etwa dich knapp hält und über dich Klage führt, wenn du zu viel verschwendest. Er ist dir ein Verwalter, der sich für dich abmüht und dich tun läßt, was du willst. Besinne dich also jetzt und erkenne den Irrtum, worin du lebst! Lüfte von deinen Augen den Schleier, der sie umdämmert und dich den Weg, den du einzuschlagen hast, nicht wahrnehmen läßt! Entschließe dich, deinen Sinn auf eine andere zu richten, die deiner wert ist! Die Zeit der Karnevalsfreuden und der Feste beginnt. Nimm teil an allen, und wenn du dabei zufällig einmal in die Nähe derjenigen kommen solltest, der du so lange Zeit vergebens dientest, so schaue nicht auf sie, sondern in den Spiegel deiner seitherigen Liebe zu ihr, wodann du gewißlich insofern einen Ersatz für deine Leiden findest, als der gerechte Zorn, der dich darob ergreifen muß, deine blinde Leidenschaft aufhebt und dich der Freiheit wiedergibt.« Der getreue Freund suchte seinen Romeo auch noch mit anderen Gründen zu seiner Meinung zu überreden, und so entschloß sich derselbe zuletzt, nachdem er ihn ruhig angehört hatte, ihm zu folgen. Er fing an, Feste zu besuchen, und wo er irgend seine Spröde ersah, wendete er den Blick von ihr ab und auf andere Schönen, um eine zu suchen, die ihm gefiele, gleich als ob er auf den Markt gegangen wäre, um Tuch oder Pferde zu kaufen. Als er nun dieser Tage, wie schon gesagt, auf Capellettos Fest gegangen war, mit dem er allerdings nicht befreundet war, jedoch sich auch gerade nicht absichtlich anfeindete, so blieb er eine Weile daselbst mit der Maske vorm Gesicht und nahm sie alsdann ab, indem er sich in einen Winkel niedersetzte, wo er alle Anwesenden in dem großen Saale übersehen konnte, dessen heller Kerzenschimmer gleichsam mit dem Tageslichte wetteiferte. Jedermann und zumal die Damen sahen auf Romeo und verwunderten sich, daß er, und zwar zur Nachtzeit, so sorglos in diesem Hause weilte; indessen wurde er wegen seiner guten Eigenschaften allgemein gern gesehen, und seine Feinde achteten eben nicht so sehr auf ihn, als sie vielleicht würden getan haben, wenn er älter gewesen wäre. So betrachtete denn Romeo im stillen die schönen Frauen des Festes, die eine mehr, die andere weniger, je nachdem ihre Reize seine Aufmerksamkeit erregten, und erlustigte sich auf diese Weise, ohne zu tanzen, als er mit einem Male ein außermaßen schönes Mädchen wahrnahm, das er nicht kannte. Sie gefiel ihm so unendlich wohl, daß er dafür hielt, niemals eine schönere und anmutvollere Jungfrau gesehen zu haben; ja es wollte ihm sogar scheinen, als ob ihre Reize ihm immer bedeutender in das Auge fielen, je länger und angestrengter es auf ihnen ruhte. Er begann mit ihr zu liebäugeln, vermochte immer weniger seine Blicke von ihr abzuwenden und gelobte sich in der ungewohnten Freude, die sein Herz über ihren Anblick
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