Italienische Novellen, Band 2
von mir versichert sein!«
Nunmehr ging der Bruder in seine Kammer und holte aus ihr so viel, als etwa in einen Löffel gehen mochte, in ein Papier gewickeltes Pulver, das Julia dankbar von ihm annahm und in einem Beutel, den sie bei sich trug, verbarg. Zweifelhaft, ob ein so zartes Kind wirklich kühn und entschlossen genug sein möchte, sich in ein Grabgewölbe mitten unter Tote einschließen zu lassen, sagte Bruder Lorenzo ferner zu ihr: »Gesteh mir, Tochter, wirst du dich auch nicht vor deinem Vetter Tebaldo fürchten, der erst vor so kurzer Zeit getötet und in eben derselben Gruft beigesetzt ist, in der du dich bald befinden wirst, und der schon äußerst stark riechen wird?« – Die heldenmäßige Julia antwortete ihm aber: »Bekümmert Euch deshalb nicht, mein Vater: ich würde die Qualen der Hölle nicht scheuen, wenn ich durch sie zu meinem Romeo gelangen könnte.« – »Nun, so sei es denn in Gottes Namen!« sagte der Mönch schließlich.
Julia kehrte heiter und vergnügt zu ihrer Mutter zurück und sagte zu ihr unterwegs: »Ich versichere dich, liebe Mutter, Bruder Lorenzo ist ein wahrer Heiliger. Er hat mich mit seinen süßen, frommen Worten dergestalt getröstet, daß er mir die Schwermut, die mich niederdrückte, fast gänzlich benommen hat. Er hat mir eine so derbe Bußpredigt gehalten, als sich nur denken läßt.« – Durch die gebesserte Stimmung ihrer Tochter überaus beglückt, erwiderte Frau Giovanna: »Meine Tochter, Gott segne dich! Du machst mir große Freude, daß du wieder heiterer sein willst, und wir sind unserem guten Beichtvater dafür innigen Dank schuldig. Er soll von uns hochgehalten und mit reichlichen Almosen für sein armes Kloster versorgt werden, damit er alle Tage zu Gott für uns bete. Sei auch du seiner oft eingedenk und sende ihm gute Klosterspeisen zu!«
Frau Giovanna glaubte in Wahrheit, der scheinbaren Heiterkeit zufolge, die Julia angenommen hatte, daß alle ihre Schwermut von ihr gewichen sei, und sie teilte ihre Entdeckung ihrem Gatten mit, der nunmehr gleichwie sie selbst seinen früheren Verdacht, sie möge einen anderen lieben, aufgab. Da sie beide immer noch außerstande blieben, die Ursache von Julias bisherigem Kummer zu ergründen, so kehrten sie zu ihrer ersten Vermutung zurück, er möge dem Tode ihres Vetters oder einem anderen, ihnen jetzt gleichgültigen Ereignisse gegolten haben. Sie würden ihr zwar jetzt, um ihrer großen Jugend willen, gern noch eine zwei- bis dreijährige Frist mit ihrer Verheiratung gestattet haben, wenn es sich hätte mit Ehren tun lassen; aber die Sache mit dem Grafen war schon allzuweit gediehen und hätte nicht, ohne großes Aufsehen zu erregen, rückgängig gemacht werden können. Der große Tag der Hochzeit wurde anberaumt und Julia mit kostbaren Stoffen und Kleinodien ausgestattet. Sie war munter und guter Dinge, lachte und scherzte, und es dehnte sich ihr jede Stunde zu tausend Jahren aus, bis der Augenblick nahte, in dem sie den Schlaftrunk einnehmen könnte.
Da kam die Nacht heran, nach der sie als an einem Sonntage öffentlich getraut werden sollte, und die Jungfrau mischte das Pulver in einen mit Wasser gefüllten Becher, den sie, ohne daß ihre Amme es merkte, an das Kopfende ihres Bettes stellte. Sie schlief in dieser Nacht wenig oder gar nicht, und mannigfache Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Als nun der Tag anfing zu grauen, zu welcher Zeit sie das Pulver trinken sollte, stellte sich ihrer Einbildungskraft Tebaldo in eben dem Zustande mit der blutigen Halswunde dar, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte. Sie dachte an die Möglichkeit, daß sie an seiner Seite oder vielleicht sogar auf ihm beigesetzt werden könnte, und wie in dem Gewölbe so viele tote Leichname und nackte Gebeine aufgehäuft wären, und es überlief sie kalt, ja alle Haare ihres Hauptes sträubten sich ihr empor, die da, von Entsetzen erfaßt, wie ein Blatt im Winde erzitterte. Überdies bedeckte ihre Glieder ein eiskalter Schweiß, indem es ihr plötzlich vorkam, als ob sie von jenen Toten in tausend Stücke zerrissen würde. Es dauerte eine geraume Weile, daß die Furcht sie in völliger Unschlüssigkeit erhielt. Am Ende ermutigte sie sich wieder ein wenig und sprach zu sich: »Wehe mir! Was will ich beginnen? Wohin will ich mich bringen lassen? Wenn ich nun zufällig eher erwachte, als der Bruder und Romeo kämen, – was würde aus mir werden? Würde ich den scheußlichen Gestank aushalten können, den Tebaldos halbverwester Leichnam um
Weitere Kostenlose Bücher