Italienische Novellen, Band 2
sich ausströmen muß, die ich schon zu Hause kaum den leisesten übeln Geruch vertragen mag? Wer weiß, ob nicht in diesem Gewölbe Schlangen und Tausende von Würmern sind, die ich so sehr fürchte und verabscheue? Und wenn ich es nicht einmal über das Herz bringe, sie anzusehen, – wie vermag ich es zu erdulden, daß sie mich umkriechen und mich berühren? Habe ich nicht so viele Male sagen hören, daß die schauderhaftesten Dinge zur Nachtzeit in Kirchen und auf Gottesäckern, geschweige denn gar in Grüften vorgegangen seien?«
In dieser aufgeregten Stimmung machte sie sich die gräßlichsten Vorstellungen und wurde dadurch beinahe zu dem Entschlusse bewogen, den Trank nicht einzunehmen, sondern ihn auf die Erde auszugießen. Die abenteuerlichsten Gedanken durchkreuzten ihr Gehirn und rieten ihr bald zu, bald ab; am Ende aber, nachdem sie lange genug mit sich phantasiert hatte, trieb die heiße Liebe zu ihrem Romeo sie dennoch an, zur Stunde, als Auroras Haupt bereits durch die Tore des Ostens aufstieg, ihre zaghaften Gedanken sich mit einem Male aus dem Sinn zu schlagen und das aufgelöste Pulver getrost zu verschlucken. Sie legte sich darauf, nachdem sie sich angekleidet hatte, wieder zur Ruhe nieder und brachte nicht mehr lange zu, bis sie entschlummerte.
Die Alte, welche bei ihr schlief, hatte zwar wohl beobachtet, daß die Jungfrau diese Nacht über wenig oder gar nicht der Ruhe genossen; nichtsdestoweniger war es ihr aber entgangen, daß sie den Becher mit dem Tranke ausgeleert hatte. Sie erhob sich zu der gewohnten Stunde von ihrem Lager und ging an ihre täglichen Geschäfte zum Schlafzimmer hinaus. Sodann, als es an der Zeit war, daß Julia hätte aufstehen sollen, kehrte sie zu ihr zurück und rief ihr zu: »Auf, auf! Julia! Es wird Zeit, sich anzukleiden«, indem sie die Fensterladen aufstieß. Da erblickte sie nun Julia, die Arme über der Brust verschränkt, regungslos ausgestreckt, trat zu ihr und rüttelte sie. »Auf! auf! Langschläferin, erwache!« sprach sie weiter. Aber die gute Alte predigte tauben Ohren. Sie fing an, sie heftiger hin und her zu rütteln, sie bei der Nase zu zupfen und sie leicht zu zwicken, – aber alles blieb vergebens. Julias Lebensgeister waren dermaßen tief befangen, daß die geräuschvollsten, entsetzlichsten Töne von der Welt sie nicht aufgeschreckt haben würden; worüber denn die alte Frau auf das äußerste erschrak und bald nicht umhin konnte, überzeugt zu werden, daß die erstarrte Julia gestorben sei. Über alle Maßen betrübt und niedergeschlagen, brach sie nunmehr in die bittersten Tränen aus und lief zu Frau Giovanna, zu der sie ganz außer Atem kam und vor Schmerzen kaum die Worte hervorbringen konnte: »Madonna, Eure Tochter ist tot!«
Die Mutter eilte mit hastigen Schritten weinend und jammernd ebenfalls hinzu, und wie sie ihre geliebte Tochter so bleich und kalt vor sich liegen sah, sendete sie so rührende Klagen zu den Sternen empor, daß sie hätte Steine zu Mitleiden bewegen und wohl sogar die wilden Tiger zähmen können, wenn sie, ihrer jungen Brut beraubt, am wütendsten gewesen wären. Das laute Geschrei der Mutter und Amme durchscholl das Haus und veranlaßte alle seine Bewohner, nach dem Schlafgemache Julias zu eilen. Auch der Vater lief hinzu und wäre vor Schmerz und Schrecken über das vermeintliche Unglück fast gestorben. Die Kunde davon drang von Mund zu Mund und erfüllte bald die ganze Stadt, so daß die Menge der immer neu in das Haus strömenden Verwandten und Freunde das laute Wehklagen darin zuletzt ins unendliche erhöhte. Die berühmtesten Ärzte der Stadt wurden unverzüglich herbeigeholt und wendeten alle die Mittel an, die ihre Wissenschaft ihnen als die heilsamsten und schicklichsten nannte. Da sie indessen wahrnahmen, daß ihre Kunst auch nicht den mindesten Erfolg hatte, und zugleich hörten, wie die Jungfrau schon seit so vielen Tagen gewohnt gewesen war, zu weinen und sich in Seufzern zu ergehen, so wurden sie insgesamt der Meinung, daß sie, an übermäßigem Leidwesen erstickend, in der Tat gestorben sei. Dieser Ausspruch verdoppelte die allgemeine Betrübnis in der Stadt, und es gab wohl keinen einzigen Menschen in Verona, der nicht an diesem unversehenen Todesfalle Anteil genommen hätte. Vor allen anderen aber war es die beklagenswürdige Mutter, die in ihrem herben Schmerze gar keinen Trost finden konnte. Zu dreien Malen sank sie in Ohnmacht, indem sie ihre Tochter umarmte, und erschien sie ebenso leblos wie
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