Italienische Novellen, Band 2
Hand den Tod zu geben, so sehr war ihm das Leben ohne die Gunst dieser Frau zur Last. Wie er eines Tages allein in seinem Zimmer war, ging er, in Gedanken an die Grausamkeit seiner Geliebten, von verschiedenen Plänen hin und her getrieben, eine gute Weile schweigend auf und nieder und warf sich dann ganz müde und matt auf ein Ruhebett, wo er, die Augen tränenschwer, in folgende Worte ausbrach: »Ach unglückseliger Ventimiglia! Unter welchem bösen Gestirn bist du doch geboren! Wie ungünstig war der Augenblick, in dem du die Augen aufschlugst, um eine so spröde Schönheit zu betrachten! Wie ist es nur möglich, daß ein so angenehmes liebliches Gesicht solche Grausamkeit beherbergt? In Wahrheit, ihr goldener Kopf, die heitere Stirn aus reinem Schnee, die schwarzen gewölbten Augenbrauen über den beiden strahlenden Morgensonnen, welche Phöbos Neid einflößen, die regelrechte, feingeschnittene Nase, die Wangen, die zwei blühenden Rosen gleichen, der rosige Mund, der unter zwei äußerst feinen Rubinen morgenländische Perlen birgt, der weiße runde Hals, das ausgezeichnet schöne Kinn, die elfenbeinernen Schultern, der schwellende Marmorbusen, die zwei Brüste voll von Hyblahonig, die schönen Arme, die blendend weißen, ebenmäßig langen und zarten Hände, die anmutreiche, geschmeidige Gestalt, die kleinen Füße, die kaum die Erde berühren, und alles das, was ich in dem göttlichen Gesichte beobachte, verspricht mir, daß sie ein Weib sei. Und ist sie ein Weib, ist sie so schön, ist sie so anmutig, – wie ist sie so grausam? wie so hart? Wehe mir, wie übel schickt sich die äußerste Schönheit und die höchste Grausamkeit zusammen! Wäre sie milde, welche weibliche Eigenschaft wäre dann an ihr zu vermissen? Sie könnte aber vielleicht sagen, ich täusche mich in meinem Urteil allzu sehr; denn was ich Grausamkeit benenne, sei vielmehr Sitte und Ehrbarkeit, Verlangen nach Ehre, nicht Stolz. Aber habe ich wohl jemals ein anderes als ein ehrbares Verlangen an sie gestellt? Was will ich sonst von ihr als das Licht dieser ihrer schönen Augen? Was anderes habe ich begehrt als das, daß sie mich zum Diener annehme, daß sie sich dazu hergebe, mir die Gunst zu erweisen, die sie mir ohne Verletzung ihrer Ehre wohl spenden könnte, oder daß sie wenigstens erlaube, daß ich ihr Diener sei, sie liebe und ihr aufwarte? Ach, Frau Lionora, kann es eine größere Grausamkeit auf der Welt geben, als einen zu hassen, der dich mehr liebt als sich selbst? einen, der an nichts anderes denkt, als dir etwas Angenehmes zu erweisen, dir zu dienen, dich zu ehren und dich anzubeten? Ja, der Beiname, den man ihr gibt und der auch zu ihrem rechten Namen stimmt, ist ganz wahr: sie ist eine hochfahrende Löwin. Fürwahr, das ist kein Weib, sondern ein wilder rauher Tiger, und nicht nur grausam ist sie, sondern die Allerundankbarste unter den Undankbarsten. Was hilft es mir, daß ich – jetzt sind es schon drei Jahre – sie auf das glühendste geliebt, ja angebetet, daß ich so viel Zeit verloren, so oft turniert, so viele Nächte durchwacht, so viele Tränen vergossen, tausend andere hochedle Frauen verschmäht, so viele günstigen Gelegenheiten verabsäumt habe? Was soll ich anderes von ihr denken, als daß sie nach meinem Blute lechzt und sich danach sehnt, daß ich an mir selbst zum Mörder werde? Aber diese ihre Lust soll sie nicht büßen. Ich will sie aus meinem Herzen verbannen und ein anderer Mensch werden, als ich bisher gewesen bin; denn ich weiß ja nur zu gewiß, ich bin um ihretwillen zum Gespötte des Volkes geworden. Es soll nicht länger wahr sein, daß ich sie liebe. Und warum soll ich sie lieben, wenn sie mich haßt?«
Also beschloß der verliebte Ritter, überdrüssig und müde der unendlichen Grausamkeit seiner spröden Geliebten und voll Reue über so viel vergeudete Mühe, und fühlte sich im Augenblicke von seiner Liebe völlig frei. Auf der andern Seite erwachte aber auf einmal in ihm ein sehnsüchtiges Verlangen nach ihr in dem Maße, daß er ganz das Gegenteil von dem sagte, was er zuvor gesagt hatte, und sich selbst wegen jener Äußerungen, die ihm als schwere Verirrung erschienen, hart tadelte:
»O ich Treuloser, ich Verräter«, rief er aus; »was habe ich gesprochen? Welcher törichte Gedanke hat sich in mein Herz geschlichen? Wie darf ich je wagen, vor die zu treten, die ich eben erst so unverdient und schnöde grausam, undankbar, wild, stolz und mörderisch genannt habe? Werde ich so verwegen
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