Italienische Verführung
guten Ruf ihres Vaters zu beschmutzen. Einem englischen Peer wurden über die Maßen gute Absicht und Macht zugestanden, doch nicht das Recht, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, wie Vater es getan hatte, als er Will Carney „bestrafte“. Die Londoner Presse würde nach Vergeltung schreien, ihr Vater sich strafrechtlicher Verfolgung und einem Gerichtsverfahren gegenübersehen, und ihr Ruf würde ins öffentliche Interesse gerückt und unwiderruflich zerstört werden. Ihre ganze Familie wäre in Zukunft für die feine Gesellschaft untragbar.
All das hatte sie durch dieses eine leichtsinnige Rendezvous mit einem Bediensteten angerichtet. Verzweifelt ging Diana zur Kutsche und kehrte in ihre Unterkunft zurück.
Edward verbarg sich im Schatten einer zerlumpten, gestreiften Markise auf der anderen Straßenseite, der Taverne gegenüber. Die Straße lag nahe der Kirche San Marcello, in einem einfachen Viertel, wo Tag für Tagin großen Töpfen auf offenem Feuer Kuttelsuppe für die Armen gekocht wurde. In der Luft hing der Geruch von gekochten Innereien und überlagerte sogar noch die durchdringenden Ausdünstungen ungewaschener Römer, von denen viel zu viele in den zu engen Quartieren hausten. Es war ein so widerlicher Gestank, dass Edward gezwungen war, sich sein parfümiertes Taschentuch vors Gesicht zu halten, um überhaupt atmen zu können.
Doch der Grund, weswegen er hier herumlungerte, war diese Unannehmlichkeiten wert. Es war einfach zu schön, um wahr zu ein. Das war einer jener Zufälle, die es sonst nur in Theaterstücken gab. Und er genügte, um Edward glauben zu machen, dass sich für ihn nun tatsächlich alles zum Besseren wenden könnte.
Als er seinen Onkel verlassen hatte und hinausgestürmt war, hatte er überrascht festgestellt, dass er in der Ferne immer noch Lady Dianas Kutsche sehen konnte, die wegen des dichten Verkehrs auf Roms Straßen nur langsam vorankam. Fest entschlossen herauszufinden, wer sein Rivale war, folgte er ihr.
Doch auf das kleine Drama, dessen Zeuge er bei der Fontana di Trevi wurde, war er nicht vorbereitet gewesen. In der Menge der Touristen konnte er sich so dicht an Diana heranschleichen, dass er fast jedes Wort verstand, das der Bettler zu ihr sagte. Doch es war gar kein Bettler, wie Edward zu seinem Erstaunen erfuhr, sondern irgendein Kerl aus ihrer Vergangenheit, der sie jetzt wegen gemeinsam begangener Sünden erpressen wollte. Die schäbigen Details hatte er nicht verstehen können, denn zwei Passanten, die sich laut miteinander unterhielten, hatten mit ihrem Geschnatter die Unterhaltung übertönt. Aber er hatte genug gehört, um zu wissen, dass Lady Diana eine panische Angst vor diesem Mann und dem Skandal hatte, den er heraufzubeschwören drohte. Sie war so verängstigt, dass sie versprach, ihm das Geld zu geben, das er verlangte.
Das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, den Helden zu spielen. Edward hatte es auch einen Augenblick lang in Betracht gezogen. Er würde aus dem Nichts erscheinen und die Dame vor dem liederlichen Schurken retten, der sie bedrohte. So eine Tat hätte Diana imponiert. Wie hätte sie sein entschlossener Mut beeindruckt, der ihn als tapferen Mann zeigte – jene Art Mann, die die Frauen angeblich am meisten liebten.
Doch es wäre auch gefährlich gewesen. Der Kerl war verzweifelt, und Verzweiflung verlieh selbst dem armseligsten Mann Stärke und eine unberechenbare Schläue. Was, wenn er ein Messer oder eine Pistole unter seinem zerschlissenen Rock hervorgezogen oder wenn er ihn, Edward, niedergeschlagen hätte? War er selbst wirklich bereit, sein Leben zu riskieren, nur um sich vor Lady Diana zu produzieren? Was ihre Zuneigung betraf, so hatte sie sich ja bereits als sehr eigenwillig erwiesen. Wieso sollte sie ihr Verhalten ändern, nur weil er sein Leben riskierte, um sie zu verteidigen?
Nein, dieses Risiko wollte Edward nicht eingehen. Vielleicht gab es einen anderen, sichereren Weg, wenn schon nicht die Liebe der Dame, so doch ihre Dankbarkeit zu gewinnen. Und das ganz ohne persönliches Risiko.
Der Erpresser selbst hatte zugegeben, ein Seemann der Marine Seiner Majestät zu sein, der jetzt wegen Fahnenflucht gesucht wurde. Die Marine ging mit Deserteuren nicht gerade freundlich um und bestrafte sie mit außerordentlicher Härte, das wusste Edward. Er hatte hier in Rom etliche Male die langweilige Gesellschaft eines Freundes seines Onkels ertragen müssen, eines Admirals in Ruhestand, der mit patriotischem Eifer über dieses
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