Ivo Andric
Gottes und mit dem Willen Gottes errichtet wurden; eine Zeit und eine Art
Menschen bauten sie, und eine andere Zeit und andere Menschen reißen sie ein.
Du weißt, was die alten Leute erzählten, wie der Steinerne Chan war; er hatte
nicht seinesgleichen im ganzen Türkischen Reiche; und wer hat ihn abgerissen?
Wäre es nur nach Bau und Meisterschaft gegangen, hätte er tausend Jahre
überdauert; und doch ist er geschmolzen, als sei er aus Wachs gewesen, aber
dort, wo einst der Chan stand, da grunzen heute die Schweine und blasen die
Schwaben ihre Trompeten.«
»Aber ich meinte doch nur, ich
vermute ...«, verteidigte sich dieser.
»Falsch vermutest du«, unterbrach
ihn der Hodscha. »Ginge es nach Leuten mit solchem Verstand, wie du ihn hast,
dann würde weder etwas gebaut noch abgerissen. Das geht dir nicht in den Kopf.
Ich aber sage euch, daß alles dies nicht mit rechten Dingen zugeht und auf
nichts Gutes hindeutet, weder für die Brücke noch für die Stadt noch für uns,
die wir das mit unseren eigenen Augen ansehen.«
»So ist es. Der Hodscha weiß besser,
was die Brücke ist«, warf der andere Gast ein und erinnerte boshaft an Alihodschas
einstiges Mißgeschick auf der Kapija.
»Freilich weiß ich es«, sagte der
Hodscha voller Überzeugung und begann, schon völlig beruhigt, eine seiner
Geschichten zu erzählen, über die die Leute lächelten und die sie doch immer
wieder gern hörten.
»Mein verstorbener Vater hat einmal
von Schech Dedija gehört und mir als kleinem Jungen weitererzählt: woher die
Brükken auf dieser Welt kommen und wie die erste Brücke entstand. Als Allah
der Allmächtige, sein Name sei gelobt, diese Welt geschaffen hatte, da war die
Erde eben und glatt wie die schönste gravierte Platte. Das ärgerte den Teufel,
der den Menschen dieses Gottesgeschenk neidete. Und solange die Erde noch so
war, wie sie aus Gottes Händen hervorgegangen, feucht und weich wie ein
ungebranntes Gefäß, da schlich er sich hinzu und zerkratzte mit seinen Nägeln
das Gesicht von Gottes Erde, soviel und so tief er konnte. So sind, wie die
Geschichte erzählt, die tiefen Flüsse und Abgründe entstanden, die eine Gegend
von der anderen trennen und die Menschen voneinander absondern und sie hindern,
auf der Erde zu reisen, die ihnen Gott als Garten zu ihrer Ernährung und
Erhaltung gegeben hat. Allah tat es leid, als er sah, was dieser Verfluchte
getan, aber da er nicht von neuem an die Arbeit gehen konnte, die der Teufel
mit seiner Hand verunreinigt hatte, da schickte er seine Engel aus, daß sie den
Menschen hülfen und es ihnen leichter machten. Als die Engel sahen, wie die
armen Menschen diese Abgründe und Tiefen nicht überschreiten und ihren
Geschäften nachgehen konnten, sondern sich quälten und vergeblich einander von
einem Ufer zum andern anschauten und sich zuriefen, da breiteten sie an diesen
Stellen ihre Flügel aus, und die Leute begannen, über diese Flügel
hinwegzugehen. So lernten die Menschen von den Engeln Gottes, wie man Brücken
baut. Nun, daher gilt es, nach einem Brunnen, als das zweitgrößte Werk, eine
Brücke zu bauen, und die größte Sünde, Hand an sie zu legen, denn jede Brücke,
von jenem Steg über den Gebirgsbach bis zu diesem Bauwerk Mehmed Paschas, hat
ihren Engel, der sie schützt und hält, solange es ihr von Gott beschieden ist
zu stehen.«
»Schön, bei Gott!« bewunderten
höflich die beiden.
So verkürzten sie sich die Zeit im
Gespräch, während der Tag verging und die Arbeit dort an der Brücke fortschritt,
von der das Quietschen der Karren und das Stampfen der Maschine, die Zement und
Sand vermischte, bis zu ihnen herüberdrang.
Wie immer, behielt der Hodscha in
diesem Streit das letzte Wort, denn niemand wollte oder konnte mit ihm bis zu
Ende streiten, am wenigstens aber diese beiden Müßiggänger und Hohlköpfe, die
Alihodschas Kaffee tranken und wußten, daß sie auch morgen einen Teil ihres
langen Tages in seinem Laden verbringen müßten.
So sprach Alihodscha zu jedem, der
geschäftlich oder im Vorübergehen in seinen Laden kam. Alle hörten ihm mit
lächelnder Neugierde und scheinbarer Aufmerksamkeit zu, aber niemand in der
Stadt teilte seine Meinung oder hatte Verständnis für seinen Pessimismus oder
die bösen Vorahnungen, die er selbst nicht zu erklären oder mit Beweisen zu
stützen vermochte. Im übrigen waren es alle seit je gewohnt, den Hodscha als
einen Querkopf und Sonderling anzusehen, der jetzt, unter dem Einfluß seiner
reifen Jahre,
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