Ivo Andric
schwerer Umstände und einer jungen Frau, alles schwarz sah und
allem ein böses Vorzeichen beimaß.
Die Leute in der Stadt waren
größtenteils gleichgültig gegenüber diesen Arbeiten an der Brücke, wie auch
gegenüber allem, was die Fremden schon seit Jahren in Stadt und Umgebung arbeiteten.
Viele verdienten, indem sie Sand, Holz oder Verpflegung für die Arbeiter
heranfuhren. Lediglich die Kinder waren enttäuscht, als sie sahen, wie die
Arbeiter über das Holzgerüst durch jene schwarze Öffnung im Mittelpfeiler in
das »Zimmer« hineingingen, in dem nach allgemeinem Kinderglauben der Schwarze
Mann wohnt. Aus diesem Raum trugen die Arbeiter zahllose Körbe voll Vogelmist
heraus und schütteten sie in den Fluß. Und das war alles. Der Schwarze Mann
zeigte sich nicht. Und die Knaben kamen vergeblich zu spät zur Schule, denn sie
hatten stundenlang am Flußufer darauf gewartet, daß der Schwarze Mann aus
seiner Dunkelheit herauskommen und den ersten Arbeiter, der hineinging, vor die
Brust stoßen würde, so stark, daß er in hohem Bogen von seinem beweglichen
Gerüst hinunter in den Fluß flöge. Grollend, weil dies nicht geschah,
versuchten einige der Kleinen zu erzählen, es sei doch geschehen, aber das
klang nicht überzeugend. Die Knaben lachten sie aus. Auch Schwüre halfen
nichts.
Kaum war die Arbeit an der
Ausbesserung der Brücke beendet, da begann der Bau der Wasserleitung. Die
Stadt hatte bisher Holzbrunnen gehabt, von denen nur die beiden auf dem Mejdan
reines Quellwasser gaben; die anderen, unten in der Niederung, standen mit dem
Flußwasser aus Drina und Rsaw in Verbindung und trübten sich, sobald sich einer
dieser beiden Flüsse in der Sommerhitze trübte, wenn aber die Flüsse fielen,
dann versiegten sie. Jetzt hatten die Ingenieure herausgefunden, daß dieses
städtische Wasser ungesund sei. Neues Wasser wurde, sogar von den Bergen
oberhalb von Kabernik, vom anderen Drinaufer, herangeleitet, so daß die
Wasserleitung über die Brücke in die Stadt geführt werden mußte.
Und wiederum gab es auf der Brücke
Gewimmel und Gehämmer. Die Platten wurden abgehoben und ein Lager für die Wasserrohre
geschaffen, Feuer brannten, auf denen Teer gekocht und Blei geschmolzen wurde.
Hanf wurde auseinandergedreht. Das Volk schaute wieder wie früher voller
Mißtrauen und Neugierde den Arbeiten zu. Alihodscha knurrte über den Rauch,
der über den Markt bis zu seinem Laden drang, und sprach verächtlich über das
neue »unreine« Wasser, das durch eiserne Rohre gehe, so daß es weder zum
Trinken noch für die rituellen Waschungen zu gebrauchen sei und das nicht
einmal die Pferde saufen würden, gäbe es noch Pferde von der guten alten Rasse,
wie sie einst gewesen. Er machte sich über Lottika lustig, die im Hotel
Wasserleitungen anlegen ließ. Und jedem, der es hören wollte, bewies er, daß
die Wasserleitung nur ein weiteres Vorzeichen der ungeahnten Heimsuchungen sei,
die früher oder später über die Stadt hereinbrechen würden.
Im Sommer des nächsten Jahres wurde
indessen die Wasserleitung ebenso fertiggestellt, wie auch alle früheren
Arbeiten ausgeführt und vollendet worden waren. Reines, reichliches Wasser
floß aus dem neuen eisernen Brunnen. Viele ließen sich das Wasser auf den Hof,
einige sogar bis ins Haus legen.
Noch im gleichen Herbst begann der
Bau der Eisenbahnstrekke. Das war eine viel längere und wichtigere Arbeit. Auf
den ersten Blick schien sie mit der Brücke keine Verbindung zu haben. Aber das
war nur scheinbar so.
Es war jene Schmalspurbahn, die in
den Zeitungsartikeln und in der amtlichen Korrespondenz als »Ostbahn«
bezeichnet wurde. Sie sollte Sarajewo mit der serbischen Grenze bei Wardischte
und mit der Grenze des türkischen Sandschak Nowi Pasar bei Uwatz verbinden.
Diese Strecke führte durch die Stadt selbst, die ihre wichtigste Station war.
In der Welt wurde viel von der
politischen und strategischen Bedeutung dieser Bahn, von der bevorstehenden
Annexion Bosniens und der Herzegowina, von den weiteren Zielen Österreich-Ungarns
über den Sandschak nach Saloniki und über alle die verwickelten Probleme, die
sich daraus ergaben, geschrieben und gesprochen. Aber hier in der Stadt zeigte
sich noch alles in einem völlig harmlosen, ja sogar anziehenden Lichte. Neue Unternehmer,
neue Arbeiterscharen, neue Verdienstmöglichkeiten für viele tauchten auf.
Dieses Mal ging alles im großen.
Vier Jahre dauerte der Bau der hundertsechsundsechzig Kilometer langen Strecke,
an der es
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