Ivo Andric
Brückenfundamente. Das
Wasser wurde abgedeicht und abgeleitet, so daß man die schwarz gewordenen und
ausgenagten Steine und einzelne Eichenpfosten sah, die vom Wasser, in das man
sie vor dreihundertunddreißig Jahren gerammt hatte, ausgeschliffen und versteinert
waren. Die unermüdlichen Winden ließen Kasten auf Kasten voller Zement und Sand
hinab, und die drei mittleren Pfeiler, die der scharfen Strömung am stärksten
ausgesetzt und am meisten unterspült waren, wurden in den Fundamenten wie
kranke Zähne an den Wurzeln ausgefüllt.
In diesem Sommer gab es kein Sitzen
auf der Kapija und nicht das übliche Leben um die Brücke. Alles war versperrt
von Pferden und Wagen, auf denen Zement und Sand herbeigeschafft wurden.
überall erschallten die Rufe der Arbeiter und die Anweisungen der Poliere. Auf
der Kapija selbst hatte man aus Brettern einen hölzernen Vorratsschuppen
errichtet.
Die Städter betrachteten die
Arbeiten an der großen Brücke, staunten und fühlten sich unbehaglich, einige
machten ihre Scherze darüber, andere winkten mit der Hand ab und gingen ihres
Weges, allen aber schien es, als arbeiteten die Fremden auch dies, wie alles
übrige, nur, weil sie etwas arbeiten müßten, weil sie die Arbeit brauchten,
weil sie nicht anders konnten. Niemand sprach es so aus, aber alle empfanden
es.
Alle, die es gewohnt waren, ihre
Zeit auf der Kapija zu verbringen, saßen jetzt vor Lottikas Hotel, vor Zarijes
Schenke oder auf den Stufen der Läden, die in der Nähe der Brücke lagen. Dort
tranken sie ihren Kaffee, erzählten und warteten darauf, daß die Kapija frei
werde und dieser Angriff auf die Brücke vorübergehe, so wie man das Ende eines
Sturzregens oder eines sonstigen Unwetters abwartet.
In Alihodschas Laden, der hier
eingezwängt zwischen dem Steinernen Chan und Zarijes Schenke lag, so daß man
von ihm schräg auf die Brücke blickte, saßen schon seit dem frühen Morgen zwei
Mohammedaner, zwei Nichtstuer aus der Stadt und sprachen über alles und alle
Welt, am meisten aber über die Brücke.
Alihodscha hörte ihnen schweigend
und mürrisch zu und blickte nachdenklich auf die Brücke, auf der die Arbeiter
wie Ameisen wimmelten.
In diesen zwanzig Jahren war er
zweimal verwitwet und hatte wieder geheiratet. Jetzt hatte er eine Frau, die
viel jünger war als er, und boshafte Städter meinten, daß er deshalb immer bis
Mittag schlechter Laune sei. Von diesen drei Frauen hatte er vierzehn lebende
Kinder. Von ihnen wimmelte und schallte es in seinem Hause den ganzen Tag, und
in der Stadt sagte man im Scherz, der Hodscha kenne nicht einmal alle seine
Kinder mit Namen. Man hatte sich sogar eine Geschichte erdacht, wie eines
seiner zahlreichen Kinder auf der Straße auf ihn zukommt, um ihni die Hand zu
küssen, während ihm der Hodscha den Kopf streichelt und sagt: »Sollst lange
leben! – aber wer ist denn dein Vater?«
Im Aussehen hatte sich der Hodscha
nicht viel verändert. Nur war er fülliger geworden und nicht mehr so rot im
Gesicht. Er bewegte sich nicht mehr so lebhaft und ging etwas langsamer den Weg
zum Mejdan hinauf, denn schon seit einiger Zeit machte ihm das Atmen sogar im
Schlaf Beschwerden. Er war deswegen sogar beim Kreisarzt, Dr. Marowski,
gewesen, dem einzigen der Zugezogenen, den er anerkannte und achtete. Vom Arzt
bekam er einige Tropfen, die die Krankheit zwar nicht heilen, aber dem
Menschen helfen, sie zu ertragen; von ihm hatte er auch den lateinischen Namen
seiner Krankheit gelernt: Angina pectoris.
Er war einer jener seltenen Türken
in der Stadt, die nichts von den Neuerungen und Änderungen, die die Fremden mitbrachten,
weder in der Tracht noch in den Auffassungen noch in der Sprache oder in der
Art des Handelns und ihrer Geschäfte angenommen hatten. Mit jener gleichen
Schärfe und Hartnäckigkeit, mit der er einst gegen jeden aussichtslosen Widerstand
auftrat, erhob er sich in diesen Jahren gegen alles Schwäbische und Fremde, das
in seiner Umgebung immer mehr Raum gewann. Deshalb war er auch damals mit den
Leuten in Streit geraten und hatte Polizeistrafen zahlen müssen. Nun war er
etwas müde geworden und enttäuscht. In seinem Wesen war er der gleiche geblieben
wie damals, als er mit Karamanli auf der Kapija sprach, ein Mann mit eigenem
Kopfe und immer und in allem abweichenden Ansichten. Nur hatte sich seine
sprichwörtliche Gradheit in Bissigkeit und seine Kampflust in finstere
Verbitterung verwandelt, der auch die schärfsten Worte als Ausdruck nicht
genügten und
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